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Lesereise Schweiz

Lesereise Schweiz

Titel: Lesereise Schweiz
Autoren: Beate Schuemmann
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von der Geologie einer Gegend, dem Weg, den das Wasser sich sucht, der Aufenthaltsdauer im steinigen Erdreich und der Tiefe, reichert es sich mit Mineralien an und tritt wieder zu Tage – als »gewöhnliches« Trinkwasser oder als »heilendes« Mineralwasser, kalt oder heiß, manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten.
    Der Quellenreichtum rührt von der besonderen Lage im so genannten »geologischen Fenster des Unterengadins«. Erosion trug im Laufe der Zeit die Gneis- und Granitschichten der Silvretta-Decke und der Engadiner Dolomiten ab und legte den darunter liegenden Bündner Schiefer frei. Auf seinem Weg zur Oberfläche mischt sich das Wasser mit Kohlendioxid, der aus dem Schiefer austritt, und löst unter dem gewaltigen Druck des Gases Stoffe wie Natrium, Kalzium, Magnesium, Kalium, Eisen, Chlorid und Sulfat aus dem durchflossenen Gestein heraus. Das Ergebnis ist so vielfältig wie die unterirdischen Prozesse: unter den neun gefassten Quellen sind drei alkalische Glaubersalzquellen, fünf alkalische Eisensäuerlinge und ein alkalisches Bitterwasser. Allerdings verliefen die Pläne, das Engadiner Mineralwasser als Tafelwasser abzufüllen, im Sande.
    Also, auf zu neuen Wassern. Mit der Renaissance des Mineralwassers besinnen sich die Engadiner ihrer alten Bädertradition. Badekuren sind jedoch längst nicht mehr angesagt. Das war früher anders. 1369 wurde die glaubersalzhaltige Luzius-Quelle entdeckt, und bald nutzten die Engadiner ihre Quellen zum Trinken und Baden. Zunächst noch für sich allein. Doch mit dem Bau der Talstraße 1853 kam der Bädertourismus in Schwung. Trinkhallen, Trinkpavillons, Badehäuser und Hotels boomten. Scuol wurde zum Treffpunkt des europäischen Adels und des betuchten Bürgertums.
    Zu den Kurgästen zählten auch Zar Nikolaus II. und Carola Königin von Sachsen. Ein Kurgast notierte humorig 1857 über die Kur-Gesellschaft: »Der elegante Fabrikherr mit galligem Teint und Glacéhandschuhen, Freund Staatshämorrhoidarius, neben ihm der stämmige Bündner Bauer, tyrolische Klostergeistliche, der regsame lombardische Kaufmann, eine starke Vertretung des schönen Geschlechts in rauschendem Seidenkleid wie in der anspruchslosen Tracht der Unterengadinerin.«
    Auch der Odol-Erfinder Karl August Lingner aus Dresden zählte zu den Gästen, er kaufte sich nach erfolgreichen Trinkkuren und Wannenbädern 1900 Schloss Tarasp, um sich die Nähe zu den gesunden Quellen auf Dauer zu sichern. Wissenschaftliche Untersuchungen belegten die Heilkraft der Mineralwässer. Bald nannte Scuol sich die »Bäderkönigin der Alpen« und zeitweise auch »Bad Scuol«. Die Nachbargemeinde Bad Tarasp exportierte die Wässerchen damals sogar nach Berlin, New York und Sydney. Es kostete zwar ein Vermögen, aber der Glaube an die heilende Wirkung schien den Preis zu rechtfertigen. Nach zwei Weltkriegen, der Wirtschaftskrise und dem rasanten Fortschritt der Medizin verloren Trinkkuren ihre Bedeutung. Wer Schmerz empfand, griff zur Tablette, nicht zum Wasserglas. Fruchtsäfte, Cola und Wellnessdrinks traten an die Stelle des Mineralwassers.
    An die alte Blütezeit erinnert wenig. Da ist die renovierte Trinkhalle »Büvetta Tarasp« im Kurhaus, erbaut 1867, in der die beiden hochmineralisierten Quellen Luzius und Emerita gefasst sind. Die Büvetta Sfondraz gleich gegenüber gehört zu einem Gartenlokal. Im einstigen Badehaus Nairs am linken Inn-Ufer erstand ein Kulturzentrum, in dem die Carola-Quelle fröhlich sprudelt. Ein bisschen Belle Époque hat sich erhalten – sichtbar am Grandhotel »Schweizerhof« in Vulpera und dem »Scuol Palace«. Doch die meisten Bäder sind neuzeitlichen Ursprungs, etwa das »Bogn Engiadina Scuol«, ein Wellnessbad, wo der Gast in Mineralwasser schwimmt, gespeist aus den Quellen Sotsass, Vi und Clozza.
    Am Schluss steht eine Geschichte, die womöglich doch noch Stoff für Miss Marple, Sherlock Holmes oder Kommissar Maigret liefern könnte. Im Ruheraum des Bades erzählt ein Wanderer die Geschichte vom geheimnisvollen Grab in Tarasp. Auf dem Stein des Trafoier-Sepp stand »Speck gessen, Wasser trunken, hi gwesen«. Dieser hatte nach der Kur plötzlich das Zeitliche gesegnet, angeblich nach übermäßigem Mineralwassergenuss. Womöglich von der Arsenquelle? Nichts ist bewiesen, und vor allem: Es ist vier Jahrhunderte her.

Geheimnisse an der Wand
Karolingische Fresken erklären die Welt
    Etwas abseits der einst belebten römischen Via Claudia Augusta nahe der Grenze zwischen der Schweiz
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