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Lesereise - Schweden

Lesereise - Schweden

Titel: Lesereise - Schweden
Autoren: Rasso Knoller
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mit zwei Schüssen brutal niedergestreckt.
    Dorthin fährt auch die Freiwillige Feuerwehr, die ebenfalls in Sachen Wallander unterwegs ist. Sie bessert ihr Budget auf, indem sie Krimifans in einem blutroten alten Feuerwehrauto zu den Mordschauplätzen karrt. Selbst das Fremdenverkehrsamt am St. Knuts torg ist zur Hälfte Souvenirshop in Sachen Wallander. Der Fan bekommt Broschüren, die ihn auf den rechten Weg – ergo die Spuren des Kommissars – bringen. Er kann seine Mankell-Krimisammlung komplettieren, auf Schwedisch und Deutsch, oder eine Autogrammpostkarte mit der Signatur des Schriftstellers kaufen. Der Erlös kommt aber nicht der schwedischen Polizei zugute. Er geht in Entwicklungshilfeprojekte, die Mankell in Afrika unterstützt. Der ist nämlich nicht nur Krimiautor, sondern widmet sich in vielen Büchern dem schwarzen Kontinent. Seit Mitte der achtziger Jahre lebt der Autor die Hälfte des Jahres in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, und arbeitet dort als Theaterdirektor.
    Wie viele andere Menschen in Ystad verdankt auch Lilian Schimele ihren Arbeitsplatz Kommissar Wallander. Als Mankell-Fan hat die gebürtige Schwarzwälderin ihr Hobby zum Beruf gemacht und verdient ihren Lebensunterhalt als Guide in den Wallander-Filmstudios am Stadtrand von Ystad.
    Als im Jahre 2004 die letzten Soldaten aus dem alten Kasernengelände abmarschierten, zogen die Filmcrews ein. Seitdem wird hier gemordet und ein Krimi nach dem anderen gedreht. Dreizehn Stück bisher.
    Unsere Führung beginnt an einem ausgebrannten Wohnwagen. In dem mussten in »Tod in den Sternen« einige Menschen ihr Leben lassen. Daneben steht ein zerschundenes Autowrack. Auch an dessen zerfledderten Sitzen klebt Filmblut.
    Das Highlight der Führung ist weniger schaurig. Es ist ein einfacher Schreibtisch, der doch etwas ganz Besonderes ist. Hinter dem nimmt nämlich sonst Kommissar Wallander Platz. Jetzt ist er, bis auf eine Schreibtischunterlage und ein Telefon, leer geräumt.
    Trotzdem beginnt der Run auf ihn, als Schimele sagt: »Wenn Sie möchten, dürfen Sie sich gerne an Wallanders Schreibtisch setzen.« Jeder aus unserer Besuchergruppe will auf dem Drehstuhl davor Platz nehmen und den Kommissar mimen. Am besten ganz cool mit dem Telefon in der Hand. Aus unterkühlten Skandinaviern werden plötzlich leidenschaftliche Fans. Wallander ist eben kein normaler Krimikommissar. Er ist eine Kultfigur.
    In der riesigen Halle, in der einst Luftabwehrgeschütze und andere Waffen lagerten, ist nicht nur für Wallanders Büro Platz. Auch die Gerichtsmedizin und der große Konferenzsaal der Polizei sind hier untergebracht sowie Wallanders Wohnung. Die liegt nur zehn Meter neben dem Büro und ist der zweite Höhepunkt der Führung. Leicht zerschlissene, aber gediegene Möbel, ein Fernsehapparat, ausgeblichene Gardinen vor den Fenstern und an der Wand ein großes Bücherregal. Lilian Schimele weist auf die auffälligen Lederstühle hin, die offenbar so speziell sind, dass sie in keinem anderen Film mehr als Requisiten verwendet werden können. »In Schweden weiß jeder, dass Wallander in einem solchen Stuhl saß«, sagt sie. Das Esszimmer des Kommissars ist etwas spärlicher eingerichtet. »Im Film kommt dieser Raum nicht oft vor«, erzählt Schimele und führt uns deswegen gleich weiter ins Schlafzimmer. Ein junges Mädchen beginnt zu murren. Wie jeder echte Fan kennt sie alle Details aus den Büchern und hat in der Studiodekoration einen Fehler ausgemacht. »Im Buch wohnt Wallander in keinem Eckhaus«, bemerkt sie und moniert die beiden über Eck liegenden Fenster. Schimele nickt und räumt ein, dass die Buchvorlage nicht in jedem Fall eins zu eins umgesetzt wurde.
    Für die Filmaufnahmen zog Wallander sogar um. Im Roman wohnt er im Erdgeschoss in der Mariagata 10, für den Film musste er auf die andere Straßenseite ins Haus 11c wechseln. Seine »Buchwohnung« liegt nämlich in einem Neubau, und der gefiel dem Regisseur nicht.
    Am Ende der Führung lässt uns Schimele einen Blick in einen Baumwollsack werfen. Harmlos sieht er aus, zumindest von außen. Doch darin liegen abgerissene Hände, ein zerfetzter Unterschenkel und auch ein paar abgetrennte Finger – alles schön blutig und sehr lebensecht. Aber nur aus Latex.
    Die Realität in Ystad ist glücklicherweise weniger grausig. Statistisch gesehen passiert nur alle sieben Jahre ein Mord. Bei einem Ausflug nach Südschweden kann man die Pistole zur Selbstverteidigung also getrost zu Hause lassen.

Nils
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