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Lesereise - Schweden

Lesereise - Schweden

Titel: Lesereise - Schweden
Autoren: Rasso Knoller
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sein.
    Und wie kommt die Jugend zum Alkohol? Die greift zur Seife! Das jedenfalls könnte man glauben, wenn man die folgende Geschichte liest, die von einer Internetagentur verbreitet worden ist: Demnach haben sich auf einem Musikfestival schwedische Jugendliche über die Flüssigseife aus den Miettoiletten hergemacht. Sie vermischten die Seife, die einen Alkoholgehalt von zweiundsechzig Prozent hatte, mit Red Bull zu einem schaumigen Cocktail. Ein Vierzehnjähriger musste, nachdem er den hochprozentigen Mix getrunken hatte, mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden.
    Horrorstorys wie diese erzählt man sich außerhalb Skandinaviens gerne über die Schweden. Aber solche Vorfälle sind im Norden die Ausnahme. Wahr ist allerdings, dass man das Thema Alkohol viel weniger entspannt sieht als bei uns. Wer die ansonsten ruhigen Schweden aus der Reserve locken will, braucht nur eine Diskussion über Alkohol anzufangen.
    Die restriktive schwedische Alkoholpolitik geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Damals wurde ordentlich – und viel mehr als heute – gebechert. Kirche und Gewerkschaften zogen in seltener Eintracht gegen den Teufel Alkohol zu Felde, und überall schossen Abstinenzlervereine aus dem Boden. 1922 kam es zu einer Volksabstimmung, und es wurde über ein generelles Alkoholverbot abgestimmt – nur wenige Tausend Stimmen fehlten damals zur Einführung der Prohibition. Stattdessen musste jeder Schwede ein Alkoholbuch führen, in das er penibel einzutragen hatte, wie viel Alkohol er kaufte. Erlaubt waren unterschiedliche Mengen, je nachdem, ob man reich oder arm, Mann oder Frau war. Arbeiter und ledige Frauen durften am wenigsten, angesehene Geschäftsleute, Fabrikbesitzer und sonstige Stützen der Gesellschaft am meisten konsumieren. Erst 1955 wurde das nach seinem Erfinder benannte »Bratt-Buch« abgeschafft. Dafür stiegen aber die Steuern und somit auch die Preise für Wein, Bier und Schnaps. Ursprünglich als erzieherische Maßnahme gedacht, nimmt Schweden inzwischen durch die Alkoholsteuer so viel Geld ein, dass der Sozialstaat ohne den Rausch seiner Bürger gar nicht mehr zu finanzieren wäre.
    Schwarzbrennerei war lange Zeit weitverbreitet und hembränt , der Selbstgebrannte, bekannt für seinen hohen Alkoholgehalt und berüchtigt wegen seiner schlechten Qualität. Seit Schweden der EU beitrat und es erlaubt ist, Alkohol zum Eigenverbrauch in großen Mengen einzuführen, ist Schwarzbrennen allerdings out. Dafür ist die Urlaubsfahrt in den Süden gleichzeitig zur Shoppingtour nach Hochprozentigem geworden. Viele bringen ihren Jahresvorrat an Rotwein aus Italien im Kofferraum mit nach Hause, oder sie stürmen die Getränkeabteilung von »Aldi«, bevor sie die Fähre zurück nach Schweden nehmen.
    In der Heimat kaufen sie Alkohol weiterhin bei den staatlichen Monopolgeschäften von »Systembolaget« ein. Die meisten Schweden nennen sie kurz »Systemet«, wohl weil der volle Name mit alkoholisierter Zunge so schwer auszusprechen ist.
    Seit private Alkoholimporte erlaubt sind, gehen die Umsätze bei allen »Systemet«-Läden im Land zurück. Mit einer Ausnahme. Der Laden in Strömstad meldet immer wieder neue Rekordverkäufe. Der Grund hierfür ist einfach: Er liegt nur wenige Kilometer von der norwegischen Grenze entfernt – und dort ist der Alkohol noch teurer.
    Früher ähnelten die Läden von »Systemet« Apotheken, und die Öffnungszeiten waren möglichst kundenunfreundlich. Man wollte die Leute ja vom Alkoholkonsum abhalten und nicht noch dazu animieren. Heute hingegen kann sich der Schwede sogar noch am Samstag seinen Drink fürs Wochenende besorgen. Zwar nur am Vormittag, aber immerhin.
    Als man vor einigen Jahren die Öffnungszeiten der Alkoholläden ausdehnte, fürchteten viele, dass das Land von nun an im Vollrausch versinken würde. In Schweden gibt es nämlich auffällig viele Wochenendtrinker. So mancher Schwede, der unter der Woche zum Mittagessen brav an seinem Glas Mineralwasser nippt, kippt sich am Wochenende Wodka in Haushaltsmengen hinter die Binde. Umgekehrt gilt fast als Alkoholiker, wer während der Woche ein Glas Weißwein zum Lachs bestellt – und derjenige als Spaßbremse, der am Wochenende schon nach dem dritten Glas genug hat.
    Ausländer, die eine solche »Verwandlung« beobachten, könnten sich besorgt fragen, was plötzlich mit dem braven Schweden passiert ist. Die Antwort lautet schlichtweg: nichts. Es ist Wochenende, und da gehört ein Rausch für viele
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