Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lesereise Paris

Lesereise Paris

Titel: Lesereise Paris
Autoren: Rudolph Chimelli
Vom Netzwerk:
immer mehr Verkaufsstände, die sich Croissanterie , Sandwicherie oder Pizzeria nennen. Die beiden Fachorgane der Bistrot -Wirte, Le Limonadier und die License Quatre – Letztere heißt nach der begehrten Genehmigung für den Ausschank alkoholischer Getränke – würden es nie zugeben: Aber bei McDonald’s steht Frankreich an sechster Stelle unter weltweit neunundsiebzig Nationen. Und es gibt noch andere Fast-Food-Ketten.
    »Die Wirte erleben nur, was sie verdienen«, sagte Jacques Melac, Inhaber eines der beliebtesten Wein- Bistrots von Paris zu Le Monde . »Sie sind selber schuld, weil alles schlechter geworden ist. Mit dem Service geht es an! Sie tauchen die Hälfte Ihres Croissants in den Kaffee, und die Tasse ist leer. Kaum dass Ihnen der Wirt ›Bonjour‹ sagt. Sind Sie noch nie weggeschickt worden, weil Sie telefonieren wollten, ohne etwas zu trinken? Und die Namen! Le Marigny, Le Marlboro, Le Relais, das bedeutet doch gar nichts, hat nichts von Geschichte und Vergangenheit. Man weiß nicht einmal wie der Wirt heißt, noch weniger wo er herkommt.«
    In der Hauptstadt sind nur noch einige Tausend bistrots übrig. Theoretisch bedauern es die Franzosen, dass ihre Cafés eingehen. Bei Umfragen finden fast zwei Drittel der Befragten, das bistrot sei ein »unentbehrlicher Bestandteil des Lebens«. Gleichzeitig bekennen neunundvierzig Prozent, dass sie nie ein Kaffeehaus betreten. Drei Viertel rühmen dessen »Ruhe«; ihnen ist offenbar entgangen, dass die meisten bistrots Stereoanlagen mit Popmusik und Spielautomaten betreiben, ob es die Kunden wollen oder nicht. Der typische Gast ist männlichen Geschlechts und achtzehn bis vierunddreißig Jahre alt. Am meisten verabscheuen ältere Damen das bistrot . Sie finden es verraucht und nicht sauber genug.
    Früher galt das Café an der Ecke als der »Salon der Armen«. Für sie ist Paris zu teuer geworden, und sie sind in Betonsilos der Vorstädte abgewandert, bei deren Planung niemand an die Gemeinschaftseinrichtung dachte. In der Provinz hatte einst auch der kleinste Ort mehr bistrots als Arbeitslose. Heute kann es für ein Dorf eine Katastrophe sein, wenn das letzte Lokal zusperrt. Im Zuge der Entvölkerung von weiten Teilen des Landes sind Geschäfte und Behörden aus vielen Orten bereits weggezogen. Damit nicht der einzige Treffpunkt verschwindet, betreiben manche Gemeinden ihr bistrot inzwischen in eigener Regie.
    Einer Legende nach geht das Wort bistrot auf jene Kosaken zurück, die nach ihrem Sieg über Napoleon in die Schenken der Champs Elysées zu stürmen pflegten, mit der Faust auf den Tisch schlugen, etwas Unverständliches bestellten, und am Ende regelmäßig »Bistro, bistro« (schnell, schnell) schrien. Mit Exotik suchen sich auch jetzt einige Wirte über Wasser zu halten. Sie trimmen ihre Lokale auf irisches Pub, bieten spanische Tapas an oder lassen ihre Gäste Karaoke singen.

Frankreich entblößt sein Haupt
Die Baskenmütze wird zur Seltenheit
    Wann haben Sie zuletzt eine Baskenmütze gesehen? Ein Franzose würde wohl antworten: Auf einer englischen Frankreich-Karikatur oder auf dem Kopf eines deutschen Touristen. Das béret , das einst so sehr zum Schablonenbild des Franzosen gehörte wie die baguette (unter den Arm geklemmt), die Zigarette aus schwarzem Tabak (an der Oberlippe klebend) oder der rote Landwein (zu jeder Mahlzeit getrunken), ist am Aussterben. Nur noch sehr alte Männer, in sehr kleinen Orten, sehr weit von Paris tragen den nationalen Kopfschmuck.
    »Wenn doppelt so viele Leute mit der Baskenmütze herumliefen, sähe man sie immer noch nicht«, klagt der Inhaber der größten von drei verbliebenen Herstellerfirmen, Bernard Fargues, in Oloron am Rand der Pyrenäen. Vor dem Krieg wurde in zweiunddreißig Werken gewirkt und gewalkt. So unentbehrlich war ihr Produkt, dass nicht einmal die Weltwirtschaftskrise ihnen etwas anhaben konnte: im Rekordjahr 1932 stellten sie dreiundzwanzig Millionen Baskenmützen her – mehr als es damals Franzosen männlichen Geschlechts gab. Sogar die amerikanische Olympia-Mannschaft zog 1936 in das Berliner Stadion unter Mützen aus Oloron ein. Heute machen die standhaften drei mit weniger als einer Million Baretts im Jahr nur noch wenige Millionen Euro Umsatz. Fargues selber geht, so fiel der Zeitung Le Monde auf, barhäuptig wie die meisten Franzosen.
    Die Baskenmütze kommt gar nicht von den Basken, sondern aus der Landschaft Bearn. Die ist zwar vom Baskenland nicht weit entfernt, aber ethnisch und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher