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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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genügsamen Pflanzen, denen manchmal ein winziger Spalt im Stein als Ankerplatz für ihre Wurzeln genügt.
    Es gibt keine anderen Geräusche als die der Natur, als das Rauschen des Windes in den Gräsern, das Schlagen der Brandung gegen die Felsen, das Krächzen der Möwen am Himmel. Kein Busmotor sprotzt, keine Blechkarawane rumpelt voran, und Diskotheken gibt es auch nicht. Es riecht nach Rosmarin, nach Aleppokiefern, nach Meer, und auf den Lippen liegt ein zarter Film aus Salz. Wüsste man nicht, dass die Küstenlinie gegenüber zu Europas populärstem Ferienziel gehört – man würde es nicht für möglich halten.
    Nicht einmal einen Kiosk gibt es. Selbst ihr Trinkwasser müssen sich die Wanderer selber mitbringen. Es gibt kein Café, keine Bar, nur das kleine Museum, ein Toilettenhäuschen, zwei Leuchttürme und so etwas Ähnliches wie eine Garage für das Schrumpfauto von Llorenç.
    Dabei ist Dragonera einer Karriere als Riesenferienanlage nur äußerst knapp entgangen. In den siebziger Jahren kaufte ein Bankenkonsortium das gesamte Eiland vom Großgrundbesitzer Juan Flexas, um die Insel in teure Parzellen zu zerlegen und mit Luxusvillen für viertausend Menschen, Hotels, einem Casino und Jachthafen mit sechshundert Liegeplätzen zu erschließen. Die angeblich durch und durch naturverträglichen Pläne waren fertig, das Anschauungsmodell im Maßstab eins zu tausend war gebastelt und verstaubt heute im kleinen Inselmuseum, das Llorenç morgens zu Dienstbeginn aufschließt und abends wieder zusperrt.
    Doch Naturschützer liefen Sturm gegen das Projekt, sprachen von »Bausünde« und »Verschandelung« und besetzten Dragonera sogar zeitweise. Sie zettelten ein juristisches Scharmützel an, verhinderten den Baubeginn immer wieder – und gewannen selbst in dieser, zumal in Spanien, nicht gerade von ökologischen Einsichten geprägten Zeit immer mehr Sympathien. Nach langem Rechtsstreit und hohen Kosten gaben die Banken, bis dato vermeintlich der stärkere Part, schließlich auf, ließen das ausgearbeitete Projekt fallen und verkauften die gesamte Insel an die Regionalregierung, die sie in ein Schutzgebiet verwandelte.
    Heute ist Dragonera unbesiedelt. Nur die Ranger dürfen dort übernachten.
    Vor einem halben Jahrhundert noch lebten zwei Familien auf der Insel – jede in einem der Leuchttürme, und einmal die Woche trafen sie sich auf halbem Weg am Anleger, wenn das Schiff mit Vorräten, Ersatzteilen und Post aus Mallorca kam. Inzwischen sind die Leuchtfeuer automatisiert und werden mit Sonnenenergie betrieben. Erst hat der Wärter von Andratx auf Mallorca sie mitbetreut, inzwischen ist auch er eingespart. Wenn mal etwas repariert werden muss, kommen Techniker der Hafenbehörde aus Palma.
    Vor den letzten beiden Familien waren es Schmuggler und Piraten, die auf der Insel Unterschlupf fanden und sich in schwer zugänglichen Höhlen versteckten.
    Die Totenkopfflagge weht schon lange nicht mehr, und auch Schmuggel lohnt sich nicht so recht: nichts, wogegen Llorenç und seine Kollegen ankämpfen müssten. Nichts, was sie beschäftigt. Sie beschützten die endemischen Echsen und die Adler, die Gräser und sogar die Möwen – das Gesamtkunstwerk Dragonera.

Die Uhren anhalten
Auf Mallorcas fast unbekannter Schwesterninsel Cabrera
    José Reyes Ferré überlegt kurz. Ob er eigentlich eine Lieblingsbar auf dieser Insel habe? Er streicht sich mit der rechten Hand durch die grauen Stoppeln des Dreitagebarts, macht schließlich eine halbe Drehung und zeigt auf die überdachte Veranda mit den vier Tischen und dem Schankraum dahinter. »Diese da«, sagt er. »Die ohne Namen. Die Bar von Cati. Weil das Bier schön kühl ist und die Schinkenbrote und die Oliven lecker sind. Und weil der Blick von dort aus auf diese stille Bucht unbezahlbar ist.«
    Er grinst, denn am Ende fiel die Entscheidung leicht: Es ist die einzige Bar von Es Port, die einzige Versorgungsmöglichkeit für Fremde in dem Zweiundvierzig-Einwohner-Ort zweieinhalb Bootsstunden von Palma de Mallorca, sogar die einzige auf der ganzen Insel Cabrera.
    Der Fischer Reyes Ferré ist häufig hier, schläft dann mit den Kameraden auf seinem rot getünchten Kutter, startet frühmorgens zur Vierundzwanzig-Stunden-Fangfahrt in den fischreichen Gewässern über zwanzig Meilen vor der Küste und kehrt einen Morgen später mit dem Laderaum voller eisgekühlter Thunfische und emperadores , den Schwertfischen, zurück. Fünf, sechs Monate im Jahr ist der Andalusier mit seiner
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