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Lesereise Kulinarium - Italien

Lesereise Kulinarium - Italien

Titel: Lesereise Kulinarium - Italien
Autoren: Dorothea Loecker , Alexander Potyka
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Hitze herrscht.
    Klaus Brill

Wer wird denn gleich fasten
Die Römer überlassen freiwillige Selbstkasteiung gern den Profis
    Das Lamm hängt in Mario Vettas Schaufenster, ein langer, schmaler Rücken, der in einem rührenden Stummelschwänzchen ausläuft, der blutige Kopf mit den leeren Augenhöhlen. Vorsichtig lösen Vettas kurze, dicke Finger es vom Metzgerhaken. »Ganz zart«, murmelt er, und streichelt mit den Augen den Rücken entlang. »Ein Milchlamm aus den Abruzzen.« Eine Signora im schwarzen Kostüm, den Hals und die Ohren schwer mit Gold behängt, lässt sich die Schulter auslösen. Eine andere hat Mario Vetta leer ausgehen lassen. Die Dame wollte ein Spanferkel, aber dazu braucht der Metzger eine Vorbestellung. An der Via Alessandria in Rom blühen die Bäume. Ein Freitag in der quaresima . Fastenzeit.
    »Ach ja«, sagt Vetta. »Am ersten Freitag nach Aschermittwoch war mein Laden leer. Auch am Karfreitag werden sie auf Fleisch verzichten. Dazwischen …«, er lächelt breit und lässt seine Arme eine unendlich lange Zeitspanne anzeigen, »dazwischen haben sie’s wohl vergessen.« Jawohl vergessen, bestätigt die Fischhändlerin Lucia auf der anderen Straßenseite. »Kein Gramm Fisch mehr haben wir in den Wochen vor Ostern verkauft. Nicht weil er zu teuer wäre, teuer ist er ja das ganze Jahr. Nein, in dieser Stadt leben einfach keine Katholiken mehr. Nur zu Karfreitag wollen sie alle Fisch. Goldbrassen, Seebarben, Rombo und Garnelen. Und, natürlich, die kleinen Fische für die frittura .« Mit den Fischen in der Tasche gehen die Kunden dann rüber zu Metzger Vetta, Lamm oder Zicklein bestellen. Zwanzig junge Ziegen und vierzig Lämmer wird er verkaufen in seinem winzigen Laden, wird sie mit den Messern auf dem uralten Marmortisch akribisch zerkleinern und seine Frau wird an der Kasse sitzen und viele Euroscheine annehmen. Am Samstagnachmittag schließen die Vettas. Dann ist Ostern. Und Ostern wird gevöllert.
    Ostern ist das Ende der katholischen Fastenzeit. Im italienischen quaresima stecken die vierzig Tage Dauer, aber von Enthaltsamkeit ist da nicht die Rede. »Fastan« wurde von den Ostgoten erfunden, es bedeutet ursprünglich bewachen, festhalten – an den Vorschriften der Kirche nämlich. Die spät christianisierten Germanen nahmen wie für glühende Konvertiten üblich alles furchtbar wörtlich. In Rom aber, wo sie für ihre alten Götter flugs neue Heilige fanden und den Handel mit Knochen und anderen Reliquien schnell zum Big Business ausbauten, in Rom also, der alten und neuen Hauptstadt des Abendlands, fastete damals wie heute außer dem Papst kaum ein Mensch.
    »Fasten« hieß es schon im 5. Jahrhundert auch bei den Slawen. Aber den Römern das freiwillige Hungern beibringen zu wollen, ist ein kulturhistorisches Missverständnis. Es gibt keine Fastenküche in Rom. Man hält hier nicht viel von Selbstkasteiung für ein höheres Ziel. Dafür haben wir schließlich unsere Profis.
    Ferdinand Gregorovius hat das beim Quellenstudium für seine »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter« auch entdecken müssen. Er berichtet von dem Dominikaner Fra Venturino aus Bergamo, der kurz vor Ostern 1334 mit einem wandernden Heer von mehr als zehntausend Menschen in Rom einrückte, die sich, so der gnadenlose Gregorovius, »den sanftmütigen Namen ›Tauben‹ gaben, aber eher wie Heuschrecken die Landschaft durchzogen«. Was geschah: »Die Römer hörten in großer Stille auf die Rede des Bergamasken, aber sie kritisierten seine Fehler im Lateinischen. Er pries Rom als die Stadt der Heiligen, deren Staub man nur mit nackten Füßen betreten dürfe; er sagte, dass ihre Toten heilig, aber ihre Lebenden gottlos seien, worüber die Römer lachten. Sie riefen ihm Beifall zu, als er erklärte, dass der Papst in Rom seinen Sitz haben müsse, aber als er sie aufforderte, ihm das Geld, welches sie für die gottlosen Karnevalsspiele auf der Piazza Navona bestimmt hatten, zu frommen Zwecken darzugeben, fanden sie, dass er ein Narr sei.« An diesem Aschermittwoch hatte Johannes Paul II. zum »Fasten für den Frieden« aufgerufen, sehr zum Unmut der römischen Gastwirte, die in diesen Dingen keinen Spaß verstehen. Dutzende Parlamentarier quer durch die Parteien schlossen sich dem Aufruf an, man befürchtete schon das Schlimmste. Es kam dann aber anders. Zwar hatte das Restaurant Eau Vive in der Nähe des Pantheons demonstrativ geschlossen, aber das wird auch von Nonnen geführt, die zum Hauptgang das »Ave Maria«
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