Lesereise Kulinarium - Italien
Cristina glaubt an Gott und an den wundertätigen Pater Pio, »aber es gelingt mir nicht, katholisch zu sein«. Weil da Frauen nichts dürfen.
Gut erinnert sie sich, dass ihr erster Wahlakt mit achtzehn Jahren die Teilnahme am Scheidungsreferendum war, und natürlich hat sie damals die Einführung der Ehescheidung in Italien befürwortet. Unvergesslich ist ihr, wie der Vater sie, als sie vor Jahren den in eine Krise geratenen elterlichen Hotel- und Gaststättenbetrieb übernehmen wollte, abwies mit den Worten: »Nein, du bist eine Frau.« Sie hat ein Pub aufgemacht und zeitweise mehr verdient als er. Und nicht zufällig hat sie 1997 mit ihrer Schwester als Tag für die Eröffnung der Eisdiele Fassino den 8. März gewählt, den Frauentag.
Es lag in der Familie. Fassino ist die Verkleinerungsform von Fassi, und dieser Name steht in Rom für eine lange Tradition der Eisproduktion. Annunziata Fassi, Cristinas Urgroßmutter, hat einst in Sizilien ihren Mann verlassen, weil der sie geschlagen hatte. Sie ging nach Rom und eröffnete in einer Villa des Fürsten Torlonia an der Piazza Fiume ein Hotel mit Gartenlokal nebst Eisverkauf. »Königreich des Eises« lautete die Reklameschrift am Dach, und ein anderer, verfeindeter Zweig der Familie führt bis heute den »Palast der Kälte«. Urgroßmutter Annunziata lieferte sogar dem Diktator Mussolini sonntags Eis; Mussolini gewährte ihr zehn Jahre Steuerfreiheit, und man weiß nicht, ob sie diese Vergünstigung über Mussolinis Schwester erreichte »oder über den berühmten roten Salon, in dem der Duce die schönen Frauen empfing«, sagt Cristina.
Jedenfalls ist die Urgroßmutter ihr ein Vorbild an Tatkraft und Gewitztheit, und jedenfalls heißt ihr Salon auch deshalb Fassino, weil dies eine der Eissorten war, die Annunziata erfand, weiß mit Schokolade drum herum. Und mag diese Vergangenheit auch ein »enormes Gepäck« darstellen, so sieht Cristina sie doch auch als Ermunterung zu eigener Tat.
Fabio ist endlich eingetroffen, verspätet, und Cristina hält ihrem neunzehnjährigen Sohn eine gedämpfte Gardinenpredigt, deren Wirkung unter seinen flehenden Blicken und Koketterien bald verfliegt. Groß und stark ist der Kerl, einen Meter zweiundneunzig hoch, und doch musste Cristina selber die Kisten mit achtzig Litern Milch, zwanzig Kilo Zucker und dem Milchpulver schleppen, die der Milchmann vorhin angefahren hat. Und der Fruchtsalat, mit dem manche Kundin ein ganzes Mittagessen bestreitet, ist auch noch nicht fertig. Cristina gibt Fabio das Obst zum Schneiden und gießt literweise Milch aus viereckigen Papptüten in die Pasteurisiermaschine, die in ihrer Werkstatt steht.
Auch diese Werkstatt, rückseitig hinter dem Lokal gelegen, ist erfüllt vom polyfonen Gebrumm der Kühlschränke und Eismaschinen, die jeden Monat für mehr als fünfhundert Euro Strom verbrauchen. Ja, es ist reichlich Energie vonnöten, wenn etwa fünfzig Liter Milch, versetzt mit Schokoladenpulver, einer Handvoll Kaffee und acht Kilo Zucker in der Pasteurisiermaschine erst auf fünfundsechzig Grad erhitzt und dann auf wenige Grad über null abgekühlt werden sollen. Schokoladeneis wird gebraucht, auch für die hellen Eissorten entsteht in ähnlicher Art eine Grundmischung, die in der Eismaschine mit weiteren Zutaten vermengt wird. Aus dem Einguss des Geräts hört man ein seltsames Schlabbern, wenn sich in der Trommel die Melange wälzt, während außen das Absinken der Temperatur auf minus vier Grad angezeigt wird.
Cristina hantiert mit Mixer, Gummispachtel, Schneebesen und Schaufel, rührt und mengt und presst und mischt. »Die Arbeit ist hart wie die Arbeit eines Maurers, aber sie ist kreativ«, sagt sie und lässt die Muskeln am Oberarm spielen. Das fertige Eis füllt sie in Wännchen, die in die Kühltheke gehängt werden, auf der Oberfläche stets mit einem Wellenrelief verziert, als müsste das Eis onduliert sein. Doch kein Gerät ist so wichtig wie die große Waage, auf der die Eisfrau nach Hausrezept die Zutaten bemisst. Ein echter gelato schmeckt nur, wenn er ausgewogen ist.
Es ist schon vorgekommen, dass Cristina nicht präzise auf die Mengen achtete, weil sie an den Steuerberater oder andere Unannehmlichkeiten dachte, und das Eis danebenging. Und regelmäßig errät ihre Freundin Laura, die Grafikerin aus der Nachbarstraße, die quasi täglich vorbeikommt, beim Eislutschen Cristinas Stimmungszustände. Gestern war sie sehr gut drauf, sagt Laura, ihr Eis war wundervoll. Und neulich hat sie
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