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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche
Autoren: Sigrid Ramge
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auch, ist heute eine Affenhitze!«
    »Wenn Sie das Fußballspiel so brennend interessiert hat, hätten Sie es doch daheim oder in einer Kneipe ansehen können«, sagte Irma.
    Die Ältere strich der Jüngeren liebevoll die blonden Locken aus der Stirn. »Ich hab meiner kleinen Schwester versprochen, heute mit ihr auf den Lemberg zu gehen. Es ist doch der letzte Tag vom Weinblütenfest.« Sie legte zwei kräftige Hände neben ihr Viertelesglas und sah darauf nieder.
    Die kleine Schwester sagte eifrig: »Wir machen immer alles gemeinsam und wohnen auch zusammen.«
    Helene war schon seit dem ersten Glas Lemberger aufgekratzt. Nun nippte sie am dritten und erzählte der kleinen Schwester, dass sie ein Mädchen kenne, das zwar keine große Schwester habe, aber einen großen Bruder, der schon mal unschuldig im Gefängnis gesessen hätte, aber glücklicherweise herausgekommen sei – dank …«
    Irma hatte Helenes Fuß nur leicht getroffen, dafür die Kühltasche, die unter dem Sitzplatz der großen Schwester stand. Helene verstummte.
    Irma sagte »Tschuldigung« und spickte unter die Bank. Die Tasche wurde ein Stück zurückgezogen und zwischen zwei stramme Waden, die in schwarzen Jeans steckten, geklemmt.
    »O nee«, sagte Irma. »Da haben Sie auch noch die Kühlbox über den Zuffenhäuser Wald schleppen müssen!«
    »Warum eigentlich?«, mischte sich Helene ein. »Hier auf dem Weinblütenfest gibt es doch jede Menge zu essen und zu trinken.«
    Die große Schwester putzte sich umständlich die Nase, und weil sie lange dazu brauchte, antwortete die kleine: »Wir gehen anschließend zu unserem Gütle am Feuerbacher Höhenweg. Da sind die Erdbeeren reif und müssen gepflückt werden. Die Ernte kommt in die Kühltasche, damit sie frisch bleibt auf dem weiten Nachhauseweg.«
    Die große Schwester nickte und seufzte. »So schön es ist, hier oben einen Garten zu haben, aber ohne Auto ist es beschwerlich herzukommen.«
    »Ich habe auch kein Auto«, sagte Irma. »Aber es gibt ja in Stuttgart ein prima Nahverkehrsnetz, und außerdem habe ich ein gutes Fahrrad.«
    »Die Straßenbahn oder ein Fahrrad nützen Ihnen überhaupt nichts, wenn Sie hier herauf wollen.«
    »Da haben Sie allerdings recht«, räumte Irma ein. »Wir sind von der anderen Seite mit dem Shuttlebus vom Feuerbacher Rathaus gekommen.«
    »Hübsche Fahrt war das«, sagte Helene. »Das Sträßle schlängelt sich durch die Weinberge bis zum Wald hinauf. Wir waren in zehn Minuten hier.« Als echte Schwäbin setzte sie hinzu: »Hat nicht mal was gekostet.« Helene kramte in ihrer Tasche herum. Nachdem sie etwa die Hälfte der mindestens fünfzehn Fächer durchwühlt hatte, stieß sie einen Freudenschrei aus: »Da bist du ja!« Dabei zog sie ihren Fotoapparat hervor, der in Ägypten so gute Dienste geleistet hatte. Sie betrachtete ihn liebevoll und erklärte den Schwestern: »Universeller Weitwinkel. 18-facher Superzoom. Intelligente Automatik!«
    Da diese Meldung die zwei nicht sonderlich zu interessieren schien, begann Helene in der Gegend herumzuknipsen.
    Falls die Schwestern mit auf die Linse kamen, merkten sie es nicht, weil sie abgelenkt waren. Sie lauschten dem Martinshorn, das aus Feuerbach heraufhallte.
    Die große Schwester sagte: »Sicher wieder ein Herzinfarkt. Die Alten regen sich zu sehr über Fußball auf, weil sie sich einbilden, sie konnten es früher besser.«
    Als sie den Arm hob, um zum wiederholten Mal den Zopf auf den Rücken zu werfen, verrutschte der weite Ärmel ihres T-Shirts. Auf dem kräftigen Oberarm wand sich ein grüngoldener Drache und spie Feuer auf den Ellbogen.
    Sie bemerkte Irmas Blick, zog den Ärmel über das Tattoo und murmelte: »Jugendspleen. Ich kann es nicht mehr leiden, aber das Entfernen ist mir zu teuer.«
    Die jüngere Schwester sagte: »Mir gefällt es!« Bei diesen Worten streifte sie den Ärmel ihres hellblauen Polohemdes nach oben und zeigte das Gegenstück auf ihrem Arm.
    Irma fragte, ob die Tattoos so eine Art schwesterlicher Verschwörungssymbole wären. Da sie keine Antwort bekam, stand sie auf und sagte, sie müsse zur Toilette. Ein paar Meter entfernt blieb sie hinter einem Holzstadel stehen, linste durch eine Lücke und lauschte.
    Sie hörte, wie die große Schwester ziemlich bissig zu Helene sagte: »Ihre Tochter hat ja den reinsten Röntgenblick – und Fragen stellt die …?!«
    Helene, geschmeichelt, weil Irma für ihre Tochter gehalten wurde, legte ihr Gesicht in Schmunzelrunzeln und antwortete: »Das mit dem
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