Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
Mann könnte Ihre Schwester ermordet haben?«
    »Zuerst nicht. Zuerst dachte ich, dass sie unter Halluzinationen leidet. Doch dann …« Agentin Morse wandte zum ersten Mal den Blick von Chris ab, und er warf seinerseits einen verstohlenen Blick auf ihre Narben. Definitiv Schnittwunden, verursacht durch Glas. Doch die punktförmige Verteilung deutete auf etwas anderes hin. Kleinkalibrige Kugeln vielleicht?
    »Agentin Morse?«, fragte er.
    »Ich habe die Stadt nicht gleich verlassen«, sagte sie, indem sie sich wieder auf ihn konzentrierte. »Ich blieb noch zur Beerdigung. In diesen drei Tagen habe ich viel über das nachgedacht, was Grace mir gesagt hatte. Das ist der Name meiner Schwester, Grace. Sie hat mir erzählt, dass sie glaubt, ihr Mann hätte eine Affäre. Er ist ein wohlhabender Mann – sehr viel reicher, als ich dachte –, und Grace vermutete, dass er etwas mit einer anderen Frau hatte. Sie glaubte, dass er sie lieber umbrachte, als die Summe zu zahlen, die ihn eine Scheidung gekostet hätte. Und auch, um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn zu bekommen.«
    Chris dachte über ihre Worte nach. »Ich bin sicher, dass Frauen bereits mehr als einmal aus diesem Grund gemordet haben«, sagte er. »Männer auch, nehme ich an.« »Absolut. Selbst ganz normale Menschen räumen ein, Mordgedanken zu hegen, wenn sie eine Scheidung durchleben. Wie dem auch sei … nach Graces Begräbnis sagte ich ihrem Mann, dass ich nach Charlotte zurückkehren würde.«
    »Aber das haben Sie nicht getan.«
    »Nein.«
    »Und? Hatte er eine Affäre?«
    »Ja. Und Graces Tod hat ihn nicht im Mindesten gelähmt. Ganz im Gegenteil.«
    »Sprechen Sie weiter.«
    »Nennen wir den Ehemann von Grace für den Moment Bill. Nachdem ich herausfand, dass Bill eine Affäre hatte, stellte ich ihn zur Rede. Ich benutzte die Ressourcen des FBI, um ihn zu durchleuchten. Sein Privatleben, sein Geschäft … Ich weiß inzwischen fast alles, was es über Bill zu wissen gibt. Bis auf die eine Sache, die ich beweisen muss. Ich weiß weitaus mehr, als meine Schwester über ihn wusste, und ich weiß eine Menge mehr, als seine Geliebte über ihn weiß. Beispielsweise fand ich bei der Überprüfung seiner Geschäftsunterlagen heraus, dass er eine komplexe Verbindung zu einem Anwalt aus der Gegend pflegt.«
    »Einem Anwalt aus Natchez?«, fragte Chris und versuchte sich vorzustellen, was für eine Verbindung das sein mochte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ärzten der Gegend hatte er mehrere Freunde in Natchez, die Anwälte waren.
    »Nein, nicht in Natchez. Dieser Anwalt praktiziert in Jackson.«
    »Ich verstehe. Bitte fahren Sie fort.«
    »Bill ist Stadtentwickler. Er baut das neue Eishockey-Stadion dort draußen. Die meisten Anwälte, mit denen er zu tun hat, haben sich auf Immobilientransaktionen spezialisiert, wie nicht anders zu erwarten. Doch dieser Anwalt ist anders.«
    »Inwiefern?«
    »Seine Spezialität ist Familienrecht.«
    »Scheidungen?«, fragte Chris.
    »Ganz genau. Obwohl er auch ein wenig mit Immobilien zu tun hat. Trusts, Testamente und so weiter.«
    »Hat ›Bill‹ diesen Anwalt aufgesucht, weil er sich von Ihrer Schwester scheiden lassen wollte?«
    Agentin Morse rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Chris hatte den Eindruck, dass sie aufspringen und auf und ab laufen wollte, doch es war nicht genügend Raum im Behandlungszimmer, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Er spürte außerdem, dass sie versuchte, ihre Nervosität zu verbergen.
    »Ich kann es nicht beweisen«, sagte sie. »Noch nicht. Doch ich bin sicher, dass es so war. Das Merkwürdige an der Geschichte ist, es gibt keinerlei Hinweis auf einen Kontakt zwischen Bill und diesem Scheidungsanwalt bis etwa eine Woche nach dem Tod meiner Schwester. Erst dann kamen die beiden miteinander ins Geschäft.«
    Chris brannten gleich mehrere Fragen auf der Zunge, doch ihm wurde plötzlich bewusst, dass im Wartezimmer Patienten auf ihn warteten. »Diese Geschichte ist faszinierend, Agentin Morse, doch ich sehe nicht, was das alles mit mir zu tun hat.«
    »Das werden Sie.«
    »Ich muss Sie bitten, sich zu beeilen, Agentin Morse, oder wir müssen unser Gespräch verschieben. Ich habe Patienten, die auf mich warten.«
    Sie musterte ihn mit einem Blick, der zu besagen schien: Glauben Sie bloß nicht, dass Sie hier die Kontrolle haben. »Nachdem ich die Verbindung zwischen Bill und diesem Scheidungsanwalt gefunden hatte«, fuhr sie fort, »weitete ich meine Ermittlungen aus. Ich entdeckte ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher