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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Marko Hautala
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dem Meeresgrund. Sie drehten sich auch dann in der Strömung, wenn es kein Licht gab.
    »Versuch um Himmels willen endlich, darüber wegzukommen«, sagte Stefu. »Das tun wir anderen auch.«
    Er stürmte aus dem Stationszimmer. Mikael starrte weiter auf die Kartengespenster. Sie verblassten, an ihre Stelle trat ein Männergesicht.
    »Was redest du für einen Scheiß?«, fragte Mikael und blickte zu der Stelle, wo Stefu gestanden hatte, merkte aber, dass er allein war. Es war eine trostlose Einsamkeit, als wäre er gerade erwacht und hätte erkannt, dass hinter seinem Rücken Ränke geschmiedet wurden.
    Mikael saß lange an seinem Platz, so lange, bis Stefus Schnarchen einsetzte. Ein unglaublicher Kerl. Machte so viel kaputt, schlief aber wie ein Baby.
    Mikael stand mühsam auf. Die Plastikräder des Stuhls rollten laut über den Fußboden, aber das Schnarchen brach nicht ab. Mikael ging zur hinteren Wand des Stationszimmers, öffnete den Verbandskasten und suchte die Schere. Das Metall lag kalt in seiner Hand. Es spiegelte lang gezogene Fragmente eines entschlossenen Mannes.
    Mikael drückte die Tür hinter sich zu und vergewisserte sich, dass sie richtig ins Schloss gefallen war. Der halbdunkle Aufenthaltsraum lag vollkommen reglos da. Ohne Menschen und ohne Licht war er ein anderer Ort. Einer, dem man nichts zu sagen gewagt hätte. Mikael ging durch den Männerflügel zum Fernsehraum am Ende des Flurs. Er kam am Isolierzimmer vorbei, blickte aber strikt nach vorn. Dennoch nahm er am Rand des Blickfelds ein Bündel wahr; wenn man daran denken wollte, wusste man, dass es ein ans Bett gefesselter Mensch war.
    Stefu hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen und das Kinn auf die Brust gesenkt. Die Arme hingen seitlich herunter wie bei einem großen Affen, die Finger berührten fast den Boden.Der weiße Kittel schien in der Nachtbeleuchtung blaugrau zu strahlen. Beinahe wie ein Toter, dachte Mikael und ging auf Stefu zu, spürte den Boden nicht unter den Füßen, für das hier war er nicht verantwortlich. Der Mensch war ein Tier.
    Mikael blieb stehen, hielt den Atem an und rechnete: Stefu war neun Jahre älter als er. Dreitausendzweihundertachtzig Tage . Dann stieß er zu.
    Der erste Hieb ließ Stefu aufstöhnen, als wäre er im Traum ins Leere getreten. Der zweite Stoß. Und der dritte. Der vierte. Als das Heulen begann, legte Mikael ihm die Hand auf den Mund. Er machte weiter, bis vollkommen klar war, dass es keine Rückkehr gab. Das Blut blubberte zwischen den Fingern. Stefu versuchte aufzustehen, packte Mikael an den Armen und am Kragen, ohne zu begreifen, dass Mikael sich selbst durchbohrte, dass auch er das Opfer war. Wenn Stefu fort war, wäre er derjenige, der keine Berichte mehr schrieb, keine Medikamente austeilte, beide Kittel wurden fleckig, das Blut tränkte beide, in langsamen Fraktalen, die zu zählen ewig dauern würde.
    Als Stefus Blick verriet, dass er begriffen hatte, wandte Mikael sich ab und ging zurück zum Stationszimmer. Die Schere fiel zu Boden. Es war ein leises Geräusch, hell und harmlos. Mikael blieb vor Finnes Tür stehen und blickte unwillkürlich ins Zimmer.
    Der Mann hatte den Kopf angehoben. Es war zu dunkel, um seine Augen zu sehen, aber sie waren auf Mikael gerichtet, das war sicher. Mikael erschrak ob seines Herzklopfens. Ob seiner hastigen, oberflächlichen Atemzüge. Die Ruhe verzog sich, die Ruhe des Tieres. Er betrachtete die Schere auf dem Boden, trat zwei Schritte zurück. Das Zwielicht verwandelte sich in elektrisch geladene Punkte. Die Ohren waren wie verstopft.
    Mikael hätte etwas sagen wollen, aber während der Nacht musste man leise sein, die Patienten sollten einen nicht sehen. Er tastete nach den Schlüsseln in der Kitteltasche. Der Schlüsselwollte nicht ins Schloss finden. Mikael fasste ihn mit beiden Händen und zwang ihn hinein. Im Neonlicht des Stationszimmers war das Blut an seinen Händen grellrot, es gehörte nicht hierher. Es gehörte nach innen, in die dunklen Adern wie all die Furcht und Verrücktheit, die in den Pflegern strömte. Mikael wusch sich die Hände, verbrauchte ein Drittel des Desinfektionsmittels. Er trat an den Tisch und überlegte vollkommen rational, ob er weiterspielen oder Alarm geben sollte. Auf dem dunklen Monitor lief das Spiel weiter. Außerhalb dieses Raums wälzten sich die Menschen in ihren Betten, träumten von solchen Taten, erwachten und stellten erleichtert fest, dass ihre Hände sauber waren.
    Mikael griff zum Telefon und wählte
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