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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Marko Hautala
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Scheiße an die Wände geworfen hatte. Der Raum hatte keinen Abfluss, weil der Steinfußboden unter Denkmalschutz stand. Immer wieder von würgendem Brechreiz unterbrochen, hatte der Pfleger Chefarzt Jokela zitiert: Ihr seid privilegiert, denn ihr dürft in diesem historischen Milieu menschennahe karitative Arbeit leisten.
    Mikael grüßte die Vierergruppe, aber nur die Verwaltungsdirektorin bemerkte ihn und lächelte zerstreut. Sie bereitete sich vermutlich schon auf die Flut von Beschwerden und Drohungen vor, die die Renovierung begleiten würde.
    Mikael lief zuerst an der Tür zur Station A vorbei und schlug den Weg nach oben zu seiner alten Station ein. Die Routine arbeitete wie der Instinkt eines Regenwurms. Er ging die Treppe wieder hinunter und blickte durch das mit einem Metallgitter verstärkte Fenster in den Aufenthaltsraum der Station A, wo die Köpfe der Patienten über die dunkelgrünen Sessellehnen ragten. Die Sessel waren im Halbkreis um den Fernseher gruppiert. Auf dem Bildschirm winkte eine junge Showmasterin dem Publikum im Aufenthaltsraum zu, ohne zu begreifen, dass man hier nicht einfach so telefonieren konnte. Mikael suchte in der Tasche nach seinen Schlüsseln, obwohl er sie von dem Moment an, als er den Kittel anzog, fest in der Hand gehalten hatte.
    Station A hatte denselben Grundriss wie Station D. Durch die mit einem Schloss versehene Tür im Treppenhaus kam man direkt in den Aufenthaltsraum, wo außer dem Fernseher Grünpflanzen standen, in Übertöpfen, die zu groß und zu schwer waren, um sie als Schleuderwaffen benutzen zu können. Die Möbel waren im Bauernrokoko gehalten, einem Stil, der eineberuhigend altväterliche Stimmung erzeugen sollte, in der man tugendhaft und maßvoll lebte.
    Mikael drehte den Schlüssel zwischen den Fingern wie einen Zauberstab, der es ihm erlauben würde, wieder wegzugehen. Den Motor anzulassen und vom Klinikgelände zu fahren, ohne Ziel.
    Das Stationszimmer lag vom Eingang aus links. Durch zwei quadratische Fenster überblickte man den gesamten Aufenthaltsraum. Nur selten bedachten die Pfleger, dass man genauso gut vom Aufenthaltsraum ins Stationszimmer sehen konnte. Die Paranoiker wanderten am Fenster vorbei und übten sich im Lippenlesen, wenn die Pfleger Bericht erstatteten. Sie beobachteten deren Gesten, deren Kopfschütteln, deren lautloses Lachen.
    Mikael schob den Schlüssel ins Schloss. Bei dem Geräusch drehten sich die Patienten vor dem Fernseher um und sahen ihn über die Sessellehnen an. Mikael grüßte beiläufig, als hätte er schon seit einer Ewigkeit auf der Station gearbeitet. Eine alte Frau, in deren Miene noch immer pure Höflichkeit lag, eingeforen vielleicht in den fünfziger Jahren, stand auf, um ihn zu begrüßen, oder einfach nur, um besser zu sehen. Zwei männliche Patienten, ebenfalls schon betagt, nickten. Der eine brummte eine Art Gruß.
    Mikael blieb nicht zum Plausch, sondern schloss die Tür zum Stationszimmer auf, ging hinein und stellte sich den Blicken der Pfleger.
    »Herzlich willkommen«, sagte der Mann, der den Ordner mit den Berichten in der Hand hielt, und erhob sich. Ein fast zwei Meter großer Hüne, der die Ärmel seines Kittels bis zu den Ellbogen hochgerollt hatte. Zwischen seinen sandfarbenen Haaren stand eine Strähne hoch, die zitterte, als er die Hand ausstreckte.
    »Juhani Autio«, sagte er. »Der Direktor in diesem Zirkus.«
    »Mikael Siinto. Wir haben uns sicher alle schon gesehen.«
    Mikael drückte Autios Hand und nickte den Kollegen zu, gab dann jedem die Hand. Er versuchte, die Zeremonie möglichst rasch hinter sich zu bringen. Es war bedrückend klar, dass der Grund für seine Versetzung sich in den letzten zwei Tagen durch alle Abteilungen geschlängelt und sich dabei ein paarmal gehäutet hatte.
    »Maila Viita«, sagte eine etwa fünfzigjährige Frau lächelnd und umfasste seine Hand mit beiden Händen. Mikael löste sich hastig aus ihrem Griff. Auch von Saana wussten bestimmt alle, ganz besonders die Empathischen, die verständnisvolle Gespräche über die Angelegenheiten ihrer Kollegen führten, überall in der Klinik, wo sie einem Gleichgesinnten begegneten. Mikael hatte gelernt, sie schon von Weitem zu erkennen.
    Er setzte das Händeschütteln fort. Der letzte Pfleger stand nicht auf und streckte ihm auch die Hand nicht hin.
    »Stefu«, brummte er und nickte zur Begrüßung.
    »Stefan Levander heißt er«, sprang Maila ein. »Und sprechen kann er auch.«
    »Herrgott noch mal«, murmelte Stefu.
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