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Leichensee

Leichensee

Titel: Leichensee
Autoren: Peter Mennigen
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den Kofferraum auf und verstaute die Tasche darin. Dann stieg er ein. Wegen des laufenden Motors war es im Auto angenehm warm.
    »Danke«, sagte Amy und entspannte ein wenig. »Nicht nur dafür, dass Sie mich mitnehmen.«
    Er zuckte nur mit den Schultern, als ob es etwas Selbstverständliches sei. Dann fuhr er los. Der Wagen vollführte eine Drehung und nahm Kurs auf Martha’s Vineyard.
    In der Geborgenheit des Autos gewann Amy allmählich ihre Selbstsicherheit wieder. »Sie haben mir den Hintern gerettet, dafür würde ich mich gerne erkenntlich zeigen.«
    »Sie können mir morgen einen Kaffee spendieren.«
    »Mehr als einen popeligen Kaffee ist Ihnen mein Hintern also nicht wert?«, flachste sie.
    Cotton bemerkte im Augenwinkel, dass sie ihn anlächelte. Das war ein gutes Zeichen. Sie fühlte sich bei ihm sicher. Das half ihr, das Trauma des Überfalls rasch zu überwinden.
    »Man erzählt sich im Ort, Sie wären vom FBI«, fuhr sie fort, ohne die Antwort auf ihre zuvor gestellte Frage abzuwarten. »Wie lange werden Sie bleiben? Bis geklärt ist, wer die Leichen am Strand verscharrt hat?«
    »Nein, so lange bestimmt nicht. Wir ermitteln nur, sichern Beweise, stellen Fragen und sind dann wieder weg.«
    »Zurück nach New York?« Mit einer Hand strich sie sich durchs Haar.
    »So lautet mein Auftrag.«
    Sie passierten die Ortsgrenze. Da keine Gefahr mehr in Verzug war und er eine Beifahrerin an Bord hatte, passte Cotton seinen Fahrstil der Witterung an. Im Kriechtempo ging es durch das Schneegestöber voran.
    Unterwegs erzählte Amy ihm aus ihrem Leben: Dass sie Einzelkind war, dass sie am liebsten in New York studiert hätte und dass sie befürchtete, auf der Insel alt und grau zu werden, ohne die große Liebe getroffen zu haben. Unter den Einheimischen würde sie die nicht finden, so viel schien ihr inzwischen klar zu sein.
    Cotton blieb schweigsam und hörte sich alles an.
    »O Gott.« Plötzlich griff Amy sich theatralisch mit beiden Händen an den Kopf und starrte den G-Man entgeistert an, als würde ihr gerade zum ersten Mal das Ausmaß ihrer Situation bewusst. »Ich werde hier als alte Jungfer enden.«
    Cotton schmunzelte.
    Irgendwann deutete Amy nach links auf einen besseren Feldweg und sagte: »Da müssen wir rein.«
    Er bog vorsichtig in eine Zufahrt, an deren Ende ein Landhaus stand.
    »So, da wären wir«, sagte sie.
    Cotton trat sanft auf die Bremse. Der Schnee knirschte unter den Reifen, als das Auto zum Stehen kam. Er stieg aus und holte das Gepäck aus dem Kofferraum. Amy bahnte sich halb rutschend, halb gehend einen Weg durch den Schnee bis zur Haustür. Davor nestelte sie an ihrem Schlüsselbund herum. Nach einigem Suchen fand sie den richtigen Schlüssel und öffnete die Tür.
    »Meine Eltern schlafen sicher schon.« Als sie den Flur betrat, flammte automatisch das Licht an der Decke auf. »Ich werde ihnen morgen erzählen, was passiert ist.«
    Sie drehte sich zu Cotton um, der auf der Schwelle stehen geblieben war. Er reichte ihr die Reisetasche und lächelte sie an. Amy sah mitgenommen aus, aber mit ihren zerzausten Haaren auch irgendwie süß.
    Es folgte ein Moment verlegenen Schweigens.
    »Steht die Einladung zu einem Date noch?«, fragte er.
    Sie blickte ihn mit verschmitzem Lächeln an. »Haben Sie eine Freundin?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Frau?«
    »Bin alleinstehend. Ist das ein Problem?«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Was dagegen, wenn ich dich küsse, Jeremiah?«
    »Habe ich denn eine Wahl?«
    Sie schaute ihm tief in die Augen. »Eigentlich nicht.«
    Im nächsten Moment spürte Cotton ihren Mund auf seinem. Ihre Lippen fühlten sich eiskalt an.

6
    Zurück im Hotel ging Cotton unter die Dusche, rasierte sich und zog sich um. Kurz nach acht Uhr verließ er sein Zimmer. Unten im Bistro verloren sich einige wenige Hotelgäste, die in der Nachsaison hängen geblieben waren. An einem der Tische saß Decker beim Frühstück.
    »Guten Morgen, Cotton«, grüßte sie. »Wie geht es Ihnen?«
    »Großartig«, behauptete er im Vorbeigehen.
    Am Büfett versorgte er sich mit einer Tasse Kaffee und einem Teller Croissants. Damit setzte er sich zu Decker.
    »Sie wirken ein wenig übernächtigt«, stellte sie fest. »Haben Sie die vergangene Nacht etwa bei der Kleinen verbracht, die Sie gestern kennengelernt haben?«
    »Irgendwie schon, aber anders, als Sie sich das vermutlich vorstellen. Ich erzähle es Ihnen nachher. Übrigens, ich habe gestern noch mit Hunter in New York
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