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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei
Autoren: Vicki Stiefel
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die Rechnung und legte dann einen Zehner auf den Tisch. »Stimmt so.«
    Ich wollte nach ihrem Ellbogen greifen, um ihr zu helfen.
    Ich fragte mich, warum ihre Herzlichkeit dieser Kälte gewichen war.
    Abwehrend hielt sie die Hand hoch. »Nicht, Emma. Bloß nicht.«
    »Mrs Lakeland, was …«
    »Über ihn wollen Sie nichts wissen. Was er uns allen angetan hat. Sicher nicht.«
    Sie schob ihre Gehhilfe Richtung Tür.
    Ich taumelte zurück, völlig schockiert von dem Ekel, der sich auf ihrem Gesicht spiegelte.
    Die Heimfahrt verlief zügig und nachdenklich. Pennys Kopf ruhte schwer auf meinem Bein. Mit dem er musste wohl mein Vater gemeint sein. Sicher. Ihre Gefühle ergaben keinen Sinn – Mrs Lakeland hatte meinen Dad ja gar nicht gekannt. Sie mussten aber im Zusammenhang mit den Anrufen von Mr Atemlos stehen. Was hatte Mrs Lakeland gesagt? Über ihn wollen Sie nichts wissen. Was er uns allen angetan hat.
    Was hatte Dad denn getan? Und warum hatte sich die liebenswerte und liebevolle Mrs Lakeland in puren Hass verwandelt?
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem gleichen Gedanken: Was konnte mein Vater getan haben, dass Mrs Lakeland nach mehr als zwanzig Jahren noch immer mit solchem Hass reagierte? Die Erbostheit, die von ihr ausging, war frisch und heftig gewesen, so heftig, dass ich Carmen erst einmal nicht weiter suchen würde. Nicht, bevor ich nicht wusste, was da vor sich ging.
    Wie Mr Atemlos angedeutet hatte, musste gerade etwas vor sich gehen, das diese Wut anfachte. Dieses Etwas hatte Mr Atemlos auch veranlasst, mich in Boston anzurufen. Er wollte mich warnen. Aber wovor genau?
    Ich fütterte Penny, duschte und forschte im Internet weiter nach meinem Vater. Nichts. Absolut nichts.
    Ich gab Mrs Lakelands Namen ein, doch ich fand nichts außer Artikeln über ihre Tätigkeit als Lehrerin. Ich überflog die Überschriften, doch nichts schien zu passen.
    Als draußen der Kies der Auffahrt knirschte, schreckte ich vom Computer hoch. Ich trat vor die Tür, als gerade ein schiffsgroßer blauer Pontiac hielt. Kummer und Sorgen waren vorgefahren.
    Ein Cop. Darauf wettete ich.
    Der Typ in dem Pontiac trug einen braunen Stetson. Da es sich nicht um den Marlboro-Mann handelte, vermutete ich, dass es jemand vom Department des Sheriffs war. Er kletterte aus dem Wagen und kam herüber.
    Penny saß mit gespitzten Ohren neben mir, nicht misstrauisch, nur aufmerksam. Meine Neugier war geweckt. Mit Cops wurde ich fertig, sogar mit solchen, die ihre Augen hinter silberglänzenden Fliegerbrillen verbargen.
    »Ma’am.« Der Officer nickte, als er vor mir stand.
    Ich war schon fast eins achtzig groß, aber ich war gezwungen, noch einmal gute fünfzehn Zentimeter bis zu dem üppigen Schnauzbart des Officers aufzublicken. Mist. Er erinnerte mich ein bisschen an meinen letzten Freund. Seufz. So viel zu seelischem Ballast.
    »Kann ich sie mal streicheln?« Er sah zu Penny hinunter.
    »Na klar.«
    Er ging in die Hocke und kraulte Penny zwischen den Ohren. Er streichelte ihren Beinstumpf, und sie ließ ihn. Interessant. Ich könnte schwören, dass sie sogar schnurrte.
    »Netter Hund.« Er stand wieder auf. »Drei Beine. Ein Schäferhund, hm. Ein Belgischer? Von der Hundestaffel?«
    »Ein tschechischer. Und sie war bei der Hundestaffel, bevor ihr jemand das Hinterbein weggepustet hat. Kann ich Ihnen weiterhelfen, Officer …?
    »Cunningham. Sheriff Hank Cunningham.«
    Wow. Ich nahm meine Sonnenbrille ab, um ihn mir besser anschauen zu können. Der kleine Henry Cunningham, so, so. Nicht, dass er dem liebeskranken Kotzbrocken noch ähnlich sah, der mir von Klasse fünf bis sieben nachgestiegen war, diesem Rotschopf mit der Quiekstimme.
    Der kleine Henry hatte sich zu einem muskulösen, an die zwei Meter großen Mann mit kastanienbraunem Haar und tiefer Stimme entwickelt. Eine Aura von Autorität und Überdruss umgab ihn. Er hatte ein kleines Bäuchlein, und der buschige Schnauzer wuchs fast bis zum Kinn hinunter.
    Ich hätte ihn nie im Leben erkannt. Und Gott sei Dank hatte auch er mich nicht erkannt, wenn man Mrs Lakelands eisige Reaktion als Maßstab nahm. Ich wollte erst wissen, warum Mrs Lakeland auf solch giftige Weise reagiert hatte, bevor ich mich meinen alten Freunden zu erkennen gab.
    »Ich nehme mal an, dass Sie nicht hier sind, um mir Eintrittskarten für den Polizeiball zu verkaufen«, sagte ich.
    Seine Lippen zuckten. »Vor zwei Tagen haben Sie nachts die Polizei angerufen, Miss Whyte. Stimmt das?«
    »Ich bekenne mich
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