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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Zeit zu sterben
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kam mir die Situation vor. Sollte ich etwa vor Gericht gestellt werden, weil durch mein Zutun ein Blumentopf auf Jack Halmes Kopf gelandet war?
    «Das ist mir egal. Von mir aus jetzt gleich.»
    «Wenn Sie sich einen Moment gedulden? Die leitende Er-mittlerin möchte bei der Vernehmung anwesend sein. Anu, nimmst du schon mal die Routinedaten für das neue Protokoll auf, während ich Maria hole?» Für einen so großen Mann erhob sich Koivu überraschend flink und mit katzenhafter Geschmei-digkeit. Ich fand die Situation nicht mehr lustig, müde beant-wortete ich Wangs erneute Fragen nach meinen Personalien.
    Heute war Kallios Kleidung ihrer Position angemessen. Den dunkelgrauen Hosenanzug hätte auch die Hauptdarstellerin einer amerikanischen Anwaltsserie tragen können, die Haare waren im Nacken aufgesteckt.

    «Tag, Säde.» Der Händedruck war schnell und fest. «Also, Jari Halme hat dich wegen versuchten Totschlags angezeigt. Er behauptet, du hättest in der Nacht zum sechsundzwanzigsten Februar dieses Jahres auf ihn geschossen, in der Absicht, ihn zu töten. Würdest du uns bitte sagen, wie es zu der Schießerei kam?»
    Ich war es allmählich satt, immer wieder über die gleichen Ereignisse zu berichten. Als ich beim Safe angelangt war, fragte Kallio:
    «Kannst du die Waffe laden?»
    «Nein. Pauli Peltola – der Leiter des Schutzhafens – hat mir zwar mal gezeigt, wie es geht, aber das ist vier Jahre her.»
    «Hattest du vorher jemals geschossen?»
    «Nein.»
    Meine Brüder hatten zwar mit dem Luftgewehr geknallt, aber mich hatten sie nie überreden können mitzumachen. Ich war sicher gewesen, aus Versehen entweder mich selbst oder jemand anderen zu treffen.
    «Hast du jemals eine Schusswaffe in der Hand gehabt?»
    «In meinem Elternhaus gab es ein Luftgewehr und ein Hoch-wildgewehr. Wahrscheinlich habe ich die mal angefasst, aber ich habe immer Angst vor Schusswaffen gehabt.»
    Kallios Lächeln verriet, dass sie sich das schon gedacht hatte.
    «Die Pistole lag also geladen im Safe?»
    «Es war also eine Pistole», sagte ich zufrieden – jetzt wusste ich endlich, womit ich geschossen hatte. «Ja, sie muss wohl geladen gewesen sein, sonst hätte sie ja nicht funktioniert.»
    «War die Sicherung entriegelt?»
    «Dieses Knöpfchen? Nein. Ich hatte mal im Fernsehen gesehen, dass man irgendwas umklappen muss, damit die Knarre funktioniert.»
    Koivu gab ein Geräusch von sich, das stark an unterdrücktes Lachen erinnerte. Um es zu überspielen, hustete er, was wiederum zur Folge hatte, dass Kallios Mundwinkel zuckten. Es war unfair, dass sie sich über mich lustig machten, aber egal. Lieber ein Dummchen als im Gefängnis.
    «Warum haben Sie die Waffe aus dem Safe genommen?», fragte Anu Wang.
    «Ich dachte, Jack schießt nicht so schnell, wenn er sieht, dass ich auch eine Waffe habe, dass nicht nur wehrlose Frauen im Haus sind.»
    «Warum bist du ans Tor gerannt?»
    «Der Toröffner ist in der Eingangshalle, in die Jack schon eingedrungen war. Deshalb musste ich die vier Codeziffern am Tor eintippen, um es zu öffnen.»
    «Wer hat zuerst geschossen?»
    «Ich», gab ich zu. «Jack hat aber als Erster angelegt. Wahrscheinlich hat er gar nicht gesehen, dass ich eine Waffe hatte.»
    «Warum hast du geschossen?»
    «Um ihn zu erschrecken und Zeit zu gewinnen.»
    «Haben Sie auf Jari Halme gezielt?», fragte Koivu, jetzt wieder ganz beherrscht.
    «Ich weiß nicht, wie man zielt. Ich habe auf gut Glück in Richtung Haus geschossen.»
    «Und beim zweiten Mal?»
    «Da auch. Es war reiner Zufall, dass ich das Heidekraut getroffen habe.»
    Einen Augenblick lang sagte niemand ein Wort. Mein Zeh schmerzte, meine Kopfhaut juckte. Das einzige Schuhwerk, in das mein linker Fuß passte, war ein uralter, eine Nummer zu großer Gummistiefel. Das Gummi war längst brüchig geworden, die reflektierende Schicht abgeblättert.
    «Du bist bedenkenlos auf den Hof gerannt, obwohl du dadurch einem bewaffneten Mann ausgeliefert warst. Hattest du keine Angst?» Kallio starrte mich aus ihren grüngelben Augen skeptisch an. Ich erinnerte mich, was ich gesummt hatte, als ich ans Tor lief. Nun gehe ich, Gevatter Tod, den fürcht ich nicht.
    «In dem Moment nicht», sagte ich.

    Koivu und Kallio fragten noch nach Einzelheiten des Schusswechsels. Dann beendeten sie die Vernehmung und ließen mich mit Anu Wang allein, die das Protokoll fertig stellte. Kallio kam zurück, als ich gerade die letzte Seite abgezeichnet hatte.
    «Ich wollte dir nur sagen,
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