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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian
Autoren: Genau mein Beutelschema
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würden dann mal los.«
    Ich dachte, das fiele auf: drei Typen, eine Frau und ein Baby am Freitagmorgen in einer Schule. Aber man vergisst ja immer, dass in Berlin einfach nichts auffällt. Selbst die jüngsten Schüler würdigen uns keines Blickes und die Lehrer schon gar nicht. Wahrscheinlich denken sie, wir seien irgendwelche Teenager-Eltern (Dr. Alban und Christina wenigstens). Kurt hat seinen jetzt wieder überaus friedlichen Sohn in einer Art Tragetasche vor den Bauch geschnallt und wirkt zwar ziemlich übermüdet und schlechtgelaunt, hat aber gegen unsere Nachforschungsaktion bis jetzt noch keinen Widerspruch eingelegt.
    Die Rütli-Schule sieht heute im Sonnenlicht komplett anders aus als gestern Nacht. Das Gebäude macht einen freundlichen und einladenden Eindruck, überall rennen gutgelaunte Kinder rum, und Jugendliche (ohne Kapuzenpullis) rauchen auf dem Schulhof betont lässig Zigaretten.
    Wir gehen zum Treppenhaus an der Rückseite, auch hier sind haufenweise Schüler unterwegs, und steigen die Treppe zum Keller hinunter. Alles wirkt vollkommen normal und gar nicht mehr unheimlich. Die Tür zum Klassenzimmer steht offen, und wir treten in den Raum, in dem ich ein paar Stunden zuvor als Gefangener saß – keine Spur mehr von Gefängnis und den Smiths. An den Tischen sitzen harmlose Zweitklässler und warten darauf, dass gleich der Unterricht beginnt. Hier erregen wir schon etwas mehr Aufmerksamkeit, und Kurt schaut skeptisch zu mir rüber.
    »Wir müssen einen Raum weiter, da standen die riesigen Reagenzgläser«, sage ich, um seinen Widerspruch gleich im Keim zu ersticken.
    Wir öffnen die Tür zu dem altmodischen Hörsaal, und was wir sehen, ist unglaublich: Der Raum ist vollkommenleer, keine Spur mehr von den Reagenzgläsern. Die Glasscheibe an der Rückseite ist zwar noch da, aber dahinter sitzen keine frischen Hipster-Klone, bloß ein alter Filmprojektor steht darin. Offensichtlich dient der Raum als Vorführsaal.
    »Na toll«, sagt Kurt. »Das ist doch alles Blödsinn. Lasst uns wieder gehen.«
    »Hier war es aber!«, beharre ich. »Die müssen alles weggeschafft haben, weil ich es gesehen habe. Ist doch klar: Die haben Angst bekommen, dass ich damit an die Öffentlichkeit gehe.«
    »Wenn die so mächtig sind, wie du uns weismachen willst, dann haben die garantiert keine Angst vor einem Kleinanzeigenbetreuer. Also ich geh wieder«, sagt Kurt, macht aber keine Anstalten, den Raum zu verlassen.
    »Mmh, ich weiß nicht.« Dr. Alban sieht sich forschend um und nimmt nachdenklich den Bügel seiner Brille in den Mund. »Vielleicht wollte dich nur jemand reinlegen, Mark. Außerdem hast du ganz schön was auf den Kopf bekommen.«
    »Nein!«, rufe ich. »Ich bin mir vollkommen sicher! Ihr müsst mir glauben.«
    »Schaut mal da!« Christina deutet zum Lehrerpult, auf dem irgendetwas liegt.
    »Da steht was drauf.« Sie hält einen Stoffbeutel hoch, so dass wir alle den Aufdruck lesen können:
    »Letzte Warnung: Haut ab!«

20
Du weißt nicht, was du WIRKLICH willst
    Der Stand mit den Fruchtsäften ist heute geschlossen. Es regnet, dennoch drängeln sich die Flohmarktbesucher zwischen den Ständen. Kurt ist noch nicht da, und ich beobachte zwei Kinder in identischen Ringel-T-Shirts, die vor einem Stand mit Sonnenbrillen stehen und verschiedene Ray-Bans anprobieren.
    Dann tippt mir Kurt an die Schulter, der heute ein wenig besser gelaunt zu sein scheint als vor einer Woche in der Rütli-Schule und mit einer Hand lässig den Kinderwagen wippt. Ich wollte ihn noch einmal treffen, bevor wir heute Abend fliegen.
    Wir setzen uns auf eine Bierbank unter den Schirm des Grillstandes und beobachten die Leute, die zwischen den Ständen flanieren und langsam vom Dauerregen klatschnass werden. Ich muss gähnen, schließlich ist es für mich noch ganz schön früh.
    »Du willst das also wirklich durchziehen. Glaubst du, das ist das Richtige für dich?«
    »Keine Ahnung«, sage ich und weiß es wirklich nicht. Wir schweigen ein bisschen. Vom Eingang wehen die Akkorde von Nirvanas »Smells like Teen Spirit« zu uns herüber.
    »Vielleicht muss das jetzt einfach sein«, sage ich schließlich, weil Kurt keine Anstalten macht, die Unterhaltung in Gang zu bringen.
    »Da hast du tatsächlich mal was entschieden. Mit Christina aus Berlin weggehen, dem Nachtleben abschwören, endlich altersgerecht altern.« Kurt muss lächeln. Das sieht bei ihm immer so aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
    »Weggehen ist ja immer das
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