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Legenden der Traumzeit Roman

Legenden der Traumzeit Roman

Titel: Legenden der Traumzeit Roman
Autoren: Tamara McKinley
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erbärmlich in der öden Landschaft herum, die nur wenig Ähnlichkeit mit der Heimat hatte. Die Männer, die sie auf dieses Schlachtfeld geritten hatten, waren Bauernjungen, Viehtreiber und Schafscherer, und sie wussten ebenso wie ihre Tiere, dass sie in der Hölle gelandet waren.
    Das Ungeziefer wurde immer quälender und krabbelte über die Männer, raubte Speisereste und schnüffelte hungrig an den Verwundeten. Nicht selten warf ein Sterbender seinen letzten Blick auf sein Spiegelbild in den Augen einer Ratte, die sich an seinem Fleisch laben wollte, doch sein Entsetzen war nichts verglichen mit der unentwegten Bombardierung, unter der die Erde erbebte, die in der Luft krachte, welche die Männer einatmeten, und die in ihren Köpfen dröhnte. Es gab kein Entrinnen, nicht einmal im Schlaf.
    Die fünf jungen Männer kauerten eng beieinander, teilten sich das letzte verschimmelte Brot und heißen Tee und sprachen über die Heimat, ihre Lieben und die bevorstehende Schlacht. Es spielte keine Rolle, dass sie unterschiedliche Dienstgrade innehatten, dass einer unter ihnen ein Pom, ein eingewanderter Brite,war, denn sie hatten die Landung in Ari Burnu überlebt, wo sie von türkischem Maschinengewehrfeuer am Strand festgenagelt worden waren, das Abschlachten ihrer Kameraden mit ansehen mussten und wussten, dass die Zahl der Todesopfer nach dem heutigen Tag ansteigen würde. Die Großoffensive stand bevor, und sie warteten nur auf das Zeichen zum Sturmangriff.
    Es war eine eigenartige Gruppe, diese jungen Männer, die durch Erfahrung gealtert waren und deren Augen glasig waren von den Gräueltaten, die sie miterlebt hatten, und den abstoßenden Bedingungen, unter denen sie hatten leben müssen, doch sie verband etwas, was tiefer ging als der Stolz auf ihr Land und ihre Waffenbrüder: Sie waren blutsverwandt.
    Albert Penhalligan aus Parramatta war mit knapp einundzwanzig Jahren der Älteste. Peter Cruickshank aus dem Hunter Valley war achtzehn, genau wie Billy Logan aus Eden Valley. James Cadwallader war vor kurzem siebzehn geworden, doch da er der zugereiste Sohn eines britischen Grafen war, hatte man ihn rasch zum Hauptmann befördert, nachdem die älteren Offiziere ihr Leben gelassen hatten. Henry Cadwallader war sein Vetter. In Sydney geboren und aufgewachsen, war es ihm gelungen, die Rekrutierungsoffiziere mit einer falschen Altersangabe zu täuschen; mit seinen fünfzehn Jahren war er der Jüngste von allen. Er war für diese fest zusammengeschweißte Gruppe so etwas wie ein Maskottchen geworden – ein Junge, den es zu beschützen und zu hegen galt, ein Junge, dessen Mut trotz seiner Jugend unter Beschuss nie nachgelassen hatte, ein Junge, der, wenn es nach ihnen ginge, überleben und zu seiner Mutter zurückkehren würde.
    Als Pfiffe ertönten und Rufe durch die Reihen und Schützengräben gingen, kamen die fünf schweigend zusammen. Die Briefe aus der Heimat waren gelesen worden, bis sie zerfielen; die Fotos ihrer Lieben waren verblasst und besudelt mit dem Schlamm und dem Blut des Schlachtfeldes. Die Heimat lag auf der anderen Seite der Erde. Sie hatten nur noch ihre kleine Gemeinschaft. Worte waren überflüssig; Trost bot allein die gegenseitige Umarmung, denn sie stärkte ihren Mut, mit dem sie die nächsten Stunden überstehen wollten.
    Als die Pfiffe lauter wurden, trennten sie sich, um die Leitern zu erklimmen. Sie alle hatten Todesangst, doch keiner zeigte sie, und als die Australier zur Flagge mit dem Kreuz des Südens aufschauten, die trotzig über den Schützengräben flatterte, grüßten sie sie mit Stolz.
    Sollte der heutige Tag ihnen den Tod bringen, würde man sich an ihre Großtaten erinnern; ihre Geschichte würde weitergegeben, und am Ende würde Australien die Fesseln seiner Sträflingsvergangenheit abstreifen und zu einer aufrechten, stolzen Nation werden. Denn ihre jungen Männer hatten ihr Blut auf diesen fremden Schlachtfeldern vergossen, und wie die Pioniere, die ihr Leben für diese Flagge gelassen hatten – für diese Nation –, würde ihr Opfer nie in Vergessenheit geraten.

Anmerkung der Autorin
    B ei der zeitlichen Einordnung der tragischen Geschichte von Kumali habe ich mir die Freiheit genommen, sie einige Jahre vor der Zeit der »Lost Generation« anzusiedeln. Ich hoffe, die Historiker unter Ihnen werden es mir nachsehen. Kumali ist eine fiktive Gestalt, doch ich konnte den Roman nicht beenden, ohne das Vermächtnis zu zeigen, das sie – und ihr Volk – geerbt haben.
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