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lebt gefaehrlich

lebt gefaehrlich

Titel: lebt gefaehrlich
Autoren: Dorothy Gilman
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wirkte sich aus, daß sie an einem einzigen Tag zwei Kontinente und einen Ozean überquert hatte. Sie entsann sich, daß Carstairs sie an einem geruhsamen Sonntagnachmittag um zwei Uhr angerufen hatte. Zwei Stunden später hatte sie Amerika verlassen und war, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung in London, siebzehn Stunden geflogen. In Amerika war es jetzt Montag früh, und sie würde einkaufen gegangen sein. Statt dessen aber war sie in Istanbul, und es war Montag vier Uhr nachmittag. Das alles erweckte ein sonderbar schwereloses, entwurzeltes Gefühl in ihr.
    Der Autobus der Fluggesellschaft fuhr sie in die Stadt. Autos hupten, Esel schrien und Straßenhändler brüllten.
Es war genau fünf Uhr, als Mrs. Pollifax das Hotel Itep erreichte und ihren Paß beim Empfang vorwies. Von Henry war nichts zu sehen, ein weiteres Zeichen dafür, daß sie jetzt in Istanbul waren und sie nicht mit seinem aufmunternden Blinzeln rechnen durfte. Der Portier führte sie sofort in ihr Zimmer in der zweiten Etage. Dann zog er sich zurück, und Mrs. Pollifax blickte wie gebannt auf das Bett.
Das Bett war auch wirklich imposant. Es stand auf einem kleinen Podium und war mit einem tiefroten Perserteppich bedeckt. Vor allem aber sah es aufreizend weich aus. Sehnsüchtig näherte Mrs. Pollifax sich diesem prachtvollen Bett. Sie griff nach ihrem Blumenhut, tastete nach der Hutnadel und hielt dann inne. Ihr fiel ein, daß sie in knapp drei Stunden mit dem Buch ›Vom Winde verweht‹ in der Hotelhalle ihren Posten beziehen mußte. Schließlich war das der Grund ihres Hierseins. Und sie mußte ausgeruht und wachsam sein. Sie hatte bereits stundenlang im Flugzeug geschla fen. Wenn sie sich jetzt hinlegte, bekam sie höchstens einen schweren Kopf. Da war es bedeutend vernünftiger, sich irgendeine Beschäftigung zu suchen und die Benommenheit abzuschütteln. Sie dachte ans Essen, aber ihr Hunger war nicht so groß, daß sie die nächsten Stunden damit hätte zubringen können. Und überhaupt hätte sie jetzt lieber ein Frühstück als ein Abendessen zu sich ge nommen, denn ihr Magen hielt sich noch an die amerikanische Zeiteinteilung.
    »Ein Spaziergang!« dachte sie. »Ein flotter, kleiner Marsch!« Nach der stundenlangen Bewegungslosigkeit war das die beste Idee. Daß die Basare um diese Zeit noch offen waren, bezweifelte sie. Damit war sie um ein Motiv ärmer geworden bis ihr Mia Ramseys Bruder einfiel.
    »Das ist ein guter Gedanke und wird nicht viel Zeit kosten!« sagte sie laut. Sofort strömte etwas von ihrer alten Energie zurück. Sie kramte die Adresse des Bruders aus ihrer Handtasche und stellte fest, daß er im selben Altstadtviertel wohnte, in dem auch das Hotel lag.
    Trotzdem beschloß sie, im Taxi hinzufahren und lieber den Rückweg zu Fuß zurückzulegen.
    Sie wusch sich das Gesicht kalt ab, packte gar nicht erst aus und verließ das Zimmer. Über den dicken Teppich ging sie die Treppe hinunter in die Halle. Sie nickte dem Mann am Empfang freundlich zu und schlenderte hinaus in die betriebsamen Straßen.
    Laut Stadtplan wurde Istanbul von Brücken, Wasser und dem geographischen Zufall unterteilt, auf zwei Kontinenten zu liegen, nämlich Europa und Asien. Mrs. Pollifax orientierte sich auf typisch weibliche Art. Im modernen Teil der Stadt, der sich Beyoglu nannte, lag das Hilton Istanbul. Dort mußten demnach auch die moderneren Häuser, die teureren Hotels und das Gros der Touristen zu finden sein. Der ältere Teil, Stambul genannt, umschloß anscheinend die meisten Minaretts, Moscheen, Basare und türkischen Hotels. Sobald das geklärt war, winkte Mrs. Pollifax ein Taxi heran. Der Fahrer begrüßte sie überschwenglich, schwor beim Bart des Propheten, daß Zikzak nicht weit sei, daß es in ganz Stambul kein besseres Taxi gäbe als seines, daß er ein erstklassiger Fahrer sei und daß der Abend nichts zu wünschen übrig lasse. Damit begann die Fahrt.
    Sehr mit ihrem Entschluß zufrieden, lehnte Mrs. Pollifax sich erwartungsvoll in die Polster zurück. Schon die Vorstellung, sich in Kürze mit einem Ortskundigen unterhalten zu können, belebte sie. Neugierig spähte sie aus dem Fenster.
    Stambuls baufällige Mauern, der abbröckelnde Stuck, der verschossene Anstrich und die ausgewaschenen Säulen wirkten in ihrer Schäbigkeit beinah imposant. Diese Stadt war Tausende Jahre alt.
    Mrs. Pollifax fand Istanbul jetzt auch erstaunlich fröhlich, und ihr Ohr begann, die Geräusche zu unterscheiden, die ihr noch vor kurzem auf die
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