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Lebens(t)raum: Eine Sommergeschichte (German Edition)

Lebens(t)raum: Eine Sommergeschichte (German Edition)

Titel: Lebens(t)raum: Eine Sommergeschichte (German Edition)
Autoren: Stefanie Maucher
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Holzräder zu winden, welche man am Abend entzünden und hinab ins Tal rollen würde, um die Götter zu ehren, den Flur zu segnen und der Erde neues Leben zu bringen. Fruchtbarkeit, die das Land brauchte, denn die letzten Ernten waren schlecht ausgefallen.
    Die angesprochene, hochgewachsene Frau hielt einen Moment inne, malte ein heidnisches Zeichen des Schutzes in die Luft und murmelte einen Zauber. Wo sie herstammte, nannte man die Insekten „Pferdetod“ und wenn sie sich auf jemandem niederließen, galt dies als böses Omen. Ihr Haar leuchtete golden, wetteiferte mit der Sonne und auch ihre Haut wirkte heller, als die der anderen Frauen, mit denen gemeinsam sie die Arbeit verrichtete.
    Momentan lag der Sommerpunkt der gelben, glühenden Scheibe zum Zeitpunkt der Sommersonnenwende im Sternbild Krebs. Zeus persönlich, so sagte man, hatte den Krebs als Belohnung an den Himmel versetzt, weil er die Flucht einer Nymphe vor dem aufdringlichen Göttervater verhinderte. Von diesem Punkt aus begann die Sonne wieder den Abstieg auf ihrer Bahn. Erst im letzten Jahr hatte ein Mann namens Eratosthenes anhand einer Sommersonnenwende den Erdumfang bestimmt. Es war die Blütezeit der hellenischen Wissenschaften, ebenso wie die der bunten Blumen in den Gärten und auf den üppig blühenden Wiesen.
    Von Eratosthenes hatten sie noch nie gehört. Mit den hellenischen Wissenschaften befassten sie sich nicht. Ihr Leben war einfach. Doch das regelmäßig wiederkehrende Jahr mit seinen verschiedenen Jahreszeiten und den davon abhängigen Vorgängen von Aussaat, Wachstum und Ernte galt den Bewohnern dieses Landes als heilig und ihre Bräuche standen in Einklang mit der Natur. Magische Worte flüsternd, segensreiche Sprüche einwebend und singend verrichteten die anwesenden Frauen und Mädchen ihr Flechtwerk, bereiteten die großen Feuerräder vor, die von den Männern des Dorfes, unter oft schwierigen Bedingungen, auf die höchstgelegenen Hügel der Umgebung transportiert und dort aufgerichtet wurden. Feuer, welches sie mit der Sonne assoziierten, spielte in ihrer Kultur bei den Feierlichkeiten eine wichtige Rolle. Haselnüsse, Walnüsse, Beeren und noch vieles mehr würde man ihm opfern.
    Die Augen der jüngeren Mädchen schweiften immer wieder hinüber, zu den Burschen des Dorfes, die unweit von ihnen große Scheiben von herangebrachten Fichtenstämmen sägten. Albern und ausgelassen begannen sie zu kichern, tauschten erwartungsvolle, nervöse Blicke. Britta suchte die schlanke Gestalt von Ronan, dessen starke Arme eine mächtige Axt schwangen. Schweiß rann seinen muskulösen Rücken hinunter. Als er sich aufrichtete und zu ihr hinübersah, senkte sie schüchtern und errötend den Blick.
    Als das letzte der Räder fertig präpariert war, scheuchten die Frauen die Mädchen lachend davon, hinaus auf die blühenden Wiesen, wo sie Blumen pflückten, zu bunten Kränzen wanden und einander ins Haar flochten. Gegenseitig schmückten sie sich, für die Feier am Abend, während die zurück gebliebenen Frauen den Getreidebrei anrührten, den sie später wie ein Omelett auf flachen, im Feuer erhitzten Steinen zubereiten würden. Warm und frisch gebacken würde er zum würzigen Spanferkel gereicht, welches man über einer kleineren Feuerstelle knusprig und kross braten würde, neben dem großen, ringförmig angelegten Scheiterhaufen, den man erst am Abend entzünden wollte.
     
    ***
     
    Während die Dämmerung hereinbrach, saßen nur die Ältesten auf dem zentralen Platz des Dorfes. Jene, die noch besser zu Fuß waren, hatten sich nach Nord, Ost, Süd und West auf die Hügel verteilt, wo sie auf das Aufgehen des Mondes warteten.
    Als die Sonne schließlich blutrot hinter einem fernen Hügel versunken war, sahen sie aus der Ferne, wie im Zentrum des Dorfes das Feuer emporloderte.
    Die Männer erhoben die Fackeln, die sie bei sich trugen und entzündeten damit die kleineren Holzhaufen, die sie aufgeschichtet hatten und die großen Feuerräder. Unterdessen entflammten die Jungen ihre Fichtenscheiben, in deren Mitte sie ein Loch geschlagen und eine Haselrute hindurchgesteckt hatten. Scheibenschlagen nannten sie diesen Brauch. Die Scheiben wurden im Sonnwendfeuer angebrannt und mit einer Stange abgeschlagen, so dass sie wie Sternschnuppen den Hang hinunter rollten, während die Jungen hinterher rannten, die Scheiben im Gleichgewicht haltend, begleitet von den Mädchen des Dorfes, die Verse und Reime sangen. Dann waren auch die Gerüste der großen
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