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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen
Autoren: Gabriel García Márquez
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gespendet.
    Es gelang uns nicht, erneut eine solche Geschichte aufzutreiben, denn Velascos Geschichte gehörte nicht zu denen, die man auf Papier erfindet. Das Leben erfindet sie, und fast immer unter Schmerzen. Das lernten wir später, als wir versuchten, die Lebensgeschichte des wunderbaren Radsportlers Ramon Hoyos aus Antioquía zu schreiben, der in jenem Jahr zum dritten Mal Landesmeister geworden war. Wir brachten sie groß heraus, wie wir es bei der Reportage über den Seemann gelernt hatten, und dehnten die Geschichte auf neunzehn Folgen aus, bis uns klar wurde, dass das Publikum den Ramon Hoyos vorzog, der im wirklichen Leben die Berge hochstrampelte und als Erster im Ziel war.
    Eine kleine Hoffnung, an vergangenen Erfolg wieder anzuknüpfen, schöpften wir an einem Abend, als Salgar anrief und mich sofort in die Bar des Hotel Continental beorderte. Dort stand er zusammen mit einem seriösen alten Freund, der ihm gerade seinen Begleiter vorgestellt hatte, einen echten Albino in Arbeiterkluft, dessen Haar und Augenbrauen so weiß waren, dass er sogar im Schummerlicht der Bar geblendet schien. Salgars Freund, ein bekannter Unternehmer, stellte den Albino als Bergbauingenieur vor. Dieser hatte auf einem leeren Grundstück, zweihundert Meter von El Espectador entfernt, mit Grabungen nach einem märchenhaften Schatz begonnen, der General Simon Bolívar gehört haben sollte. Salgars guter Freund - und seit damals auch meiner - bürgte für die Wahrheit der Geschichte. Diese war verdächtig einfach. Als sich der Befreiungsheld, besiegt und todkrank, auf den Weg zur Küste machen musste, um von Cartagena aus seine letzte Reise anzutreten, habe er wohl einen großen persönlichen Schatz nicht mitführen wollen, den er in den Entbehrungen seiner Kriege als wohlverdiente Rücklage für ein sorgloses Alter zusammengetragen hatte. Bevor Bolívar sich nun anschickte, seine bittere Reise fortzusetzen - man weiß nicht, ob sie ihn nach Caracas oder nach Europa führen sollte -, war er so umsichtig gewesen, den Schatz in Bogotá versteckt zurückzulassen, geschützt von einem lakedämonischen Zeichencode, wie es dem Zeitgeist entsprach, um von jedem Ort der Welt aus auf das Vermögen zurückgreifen zu können, wenn er es brauchte. An die Geschichte des Schatzes erinnerte ich mich mit unstillbarem Verlangen, als ich an Der General in seinem Labyrinth schrieb, in dem sie einen wesentlichen Platz eingenommen hätte, wenn es mir denn gelungen wäre, die nötigen Daten zusammenzubekommen, um sie glaubhaft zu machen; als fiktionale Erfindung aber erschien sie mir nichtig. Nach eben diesem märchenhaften Vermögen, das von seinem Eigentümer nie abgeholt worden war, grub der Schatzgräber mit so viel Eifer. Ich begriff nicht, warum die beiden uns das alles enthüllt hatten, bis Salgar mir erklärte, dass sein Freund, beeindruckt von dem Bericht des Schiffbrüchigen, uns im Vorhinein einweihen wollte, damit wir die Grabungen von Anfang an verfolgen könnten, um dann die Geschichte mit ähnlichem Aufwand zu veröffentlichen.
    Wir gingen zu dem Grundstück, das als Einziges westlich vom Parque de los Periodistas noch unbebaut war und in der Nähe meiner neuen Wohnung lag. Der Freund erklärte uns auf einer Karte aus der Kolonialzeit die Koordinaten des Verstecks anhand realer Orientierungspunkte auf den Bergen Monserrate und Guadalupe. Es war eine faszinierende Geschichte, und uns winkte eine mindestens so explosive Nachricht wie die über den Schiffbrüchigen, die darüber hinaus eine größere internationale Resonanz gehabt hätte.
    Wir fanden uns mit einer gewissen Regelmäßigkeit am Ort ein, um auf dem Laufenden zu bleiben, hörten dem Ingenieur auf der Basis von Aguardiente und Zitrone stundenlang zu, und das Wunder rückte in immer weitere Ferne, bis so viel Zeit vergangen war, dass uns nicht einmal mehr die Illusion blieb. Später kam uns dann der Verdacht, dass die Geschichte mit dem Schatz nichts als ein Deckmantel war, um mitten in der Hauptstadt etwas sehr viel Wertvolleres ohne Schürflizenz zu fördern. Aber es hätte auch sein können, dass dies wiederum ein Deckmantel war, um den Schatz des Befreiers vor Zugriffen zu bewahren.
    Es waren nicht die besten Zeiten zum Träumen. Nach dem Bericht des Schiffbrüchigen hatte man mir geraten, für eine Weile Kolumbien zu verlassen, bis sich die Lage entspannt hätte, da uns auf unterschiedlichen Wegen reale oder fiktive Morddrohungen erreichten. Daran dachte ich zuerst, als Luis
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