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Leander und die Stille der Koje (German Edition)

Leander und die Stille der Koje (German Edition)

Titel: Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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Glück dämpfte das Rauschen des Windes an Baginskis Ohren die nervigen Geräusche etwas. Die Fahrradkette rasselte, als hätte sie schon einige zehntausend Kilometer auf den Gliedern.
    Jetzt bloß nicht abspringen!, dachte Heinz Baginski. Bloß nicht reißen jetzt!
    Außerdem musste er seine ganze Kraft und Energie aufbringen, um mit der alten Mühle voranzukommen, denn die hatte nur drei Gänge, von denen die ersten beiden kaputt waren, also nicht reingingen. Und so strampelte Heinz Baginski mit reichlich Ballast behängt im dritten Gang gegen den Wind und schwor sich, den stoffeligen Fahrradverleiher umzubringen, oder wenigstens zu teeren und zu federn, wenn er heute Nachmittag wieder in Wyk war.
    Doch Heinz Baginski wollte sich seine gute Laune nicht nehmen lassen, denn schließlich standen ihm spektakuläre Entenfotos bevor. Außerdem geisterte seit heute Morgen ein Schlager seiner Namensvetterin – oder sagte man Namenscousine? – in seinem Kopf herum, die zwar nicht Heinz hieß, sondern Gaby, aber immerhin Baginsky. Und das verband schließlich, wie Heinz fand, und verpflichtete zu besonderem Interesse und zur Wahrung des Kulturgutes, das sie überwiegend vor dreißig Jahren erfolgreich und vielfältig produziert hatte. Den Schönheitsfehler mit dem Y am Ende ihres Namens verzieh er ihr großmütig.
    Je anstrengender es wurde – der Wind schien kontinuierlich zuzunehmen –, desto schwerer fiel es Heinz, sich auf den Schlager zu konzentrieren, und so begann er nun damit, ihn zunächst nur zu summen, schließlich aber laut gegen das Rauschen an seinen Ohren vor sich hin zu schmettern: »Fahr zur Hölle, komm nie wieder zurück!« Dabei bemühte er sich um eine möglichst originalgetreue Quietschstimme, denn Heinz war nicht nur kulturbeflissen, er hielt auch auf Authentizität: Wenn er schon einen Schlager von seiner Lieblingssängerin Gaby Baginsky schmetterte, dann wollte er auch klingen wie Gaby Baginsky. Dummerweise waren der Wind und die Fahrradkette so laut, dass er sein eigenes Wort kaum verstehen konnte, obwohl er aus voller Kehle sang. Seine Stimme war nämlich nicht gerade tragend, was er selber für einen Fluch, seine Freunde und Verwandten aber für einen Segen hielten.
    Derart seiner knappen Atemluft beraubt, näherte sich Heinz Baginski mit hochrotem, fast bläulichem Kopf der Boldixumer Vogelkoje. Es war zwanzig Minuten nach elf, also immer noch Zeit genug, um sich einen Überblick zu verschaffen, sein Stativ aufzubauen und ein paar original Föhrer Krickenten im Großformat abzulichten.
    Er sprang vom Fahrrad, allerdings nicht, ohne sich mit dem Stativgurt am Sattel zu verheddern und vom Gewicht des alten Rostesels zu Boden geworfen zu werden. Derartige Seitenhiebe aus der Mitte des Lebens war Heinz Baginski gewohnt, und sie waren nicht dazu angetan, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen – zumindest nicht seelisch. Er rappelte sich wieder hoch, überlegte kurz, ob er die Zeit investieren sollte, um mit dem verrotteten Fahrradschloss zu kämpfen, verwarf dies aber nach einem erneuten Blick auf die Uhr und machte sich auf den Weg über die Klappbrücke ins Innere der Vogelkoje.
    Zunächst musste er durch einen Tunnel aus Büschen und Bäumen, der direkt auf das Kojenwärterhaus zu führte. Dort stand ein älterer Mann mit einer Bauchtasche und harrte der Dinge, die da kamen. Nun kam Heinz.
    »Einmal?«, fragte der Mann, und Heinz Baginski nickte, denn zu einer Antwort reichte sein Atem noch nicht aus.
    »Das Geld kommt in den Topf da vorne«, fuhr der Kojenwärter fort und deutete auf eine Edelstahlschale, die an einem Pfosten angebracht war.
    »Wie viel?«, keuchte Heinz.
    »So viel Sie wollen. Was es Ihnen wert ist. Nach oben sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Nur Scheine sind schlecht, die schwimmen beim nächsten Regen weg …«, und als Heinz Baginski keine Anstalten machte, nachzufragen: »Wir warten nämlich immer, bis es geregnet hat, bevor wir die Schale leeren. Geldwäsche, Sie verstehen?«
    Diesen Spruch musste wohl jeder Besucher über sich ergehen lassen, genauso wie das nun folgende schallende Lachen.
    »Dann passen Sie mal gut auf, dass angesichts der aktuellen Finanzkrise heute Nacht kein Grieche in Ihrer Schale taucht«, kam es von hinten, was wiederum schallendes Gelächter auslöste.
    Heinz drehte sich um und blickte in das Strahlen eines Familienvaters, dem seine Frau und drei Kinder wie eine Entenfamilie folgten. Derart angetrieben, warf Heinz Baginski schnell zwei Euro
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