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Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)

Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)

Titel: Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Autoren: Béla Bolten
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nicht erinnern, ob Leah bei diesem ersten Treffen ein Kleid oder ihre weiten »Malerhosen« getragen hatte. Sollte der Alkohol etwa seine Erinnerungen löschen wie ein Virus die Dateien einer Festplatte? Mühsam erhob er sich aus dem Sessel und goss den Whiskey in den Küchenausguss. Seitdem hatte er keinen Tropfen angerührt. War er jetzt belohnt worden, indem er Leah noch einmal spürte? Langsam nahm die Wärme in seinem Rücken ab, als wäre sie aufgestanden und hätte das Zimmer verlassen. Thal wusste, dass es ein endgültiger Abschied war. Leah würde nicht wiederkommen, aber seltsamerweise machte ihn das nicht traurig. Mit vorsichtigen Bewegungen stand er von der Couch auf. Bisher hatte er es nicht geschafft, das Bett im Schlafzimmer zu benutzen, er hatte das Zimmer seit damals nicht einmal betreten. Thal schaute auf die Uhr. Viertel vor acht. Im Zimmer war es trotz der großen Fenster noch dämmerig. Dabei gab es weder Vorhänge noch Gardinen. »Ohne Licht keine Farben, und ohne Farben kein Leben«, hatte Leah gesagt, als ihre Mutter bei einem Besuch anregte, bunte Stoffbahnen würden mehr Stimmung in die nüchterne Wohnung bringen. Thal schaute hinaus und konnte wegen des dichten Nebels kaum das gegenüberliegende Haus erkennen. Dabei war die Schreibergasse in der Konstanzer Niederburg das, was der Name suggerierte: ein wenige Meter breites Sträßchen.
     
    »Ho Narro!«
    Thal erschrak. Unten stand, fröhlich zu ihm heraufwinkend, eine Gruppe von fünf Kindern, die sich auf dem Weg zur Schule auf den Ruf einstimmten, der in den nächsten Tagen die Stadt beherrschen würde.
    Thal hatte nicht daran gedacht, dass am heutigen Mittwoch die Fastnacht begann und morgen, am »Schmotzigen Dunschtig«, ihren ersten Höhepunkt erreichte. Zwar zählte er die Tage seit Leahs Tod, ordnete sie aber nicht in den Kalender ein. Auf dem Weg zur Küche, wo er sich den ersten seiner täglichen fünf Espressi zubereiten wollte, überlegte er, wie er die kommenden Tage überstehen sollte. Das war in der Niederburg, Konstanz ältestem Stadtteil und Hochburg des fastnächtlichen Treibens, eine ernsthafte Frage. Früher hatte Leah die Entscheidung getroffen. Nach Lust und ob sie eine kreative Schaffensphase hatte oder nicht, fuhren sie entweder ins Tessin oder stürzten sich in den Trubel und zogen bis in die Morgenstunden durch die Gassen der Altstadt, obwohl er pünktlich zum Dienst erscheinen musste. Für einen Konstanzer Polizeibeamten galt an diesen Tagen des allgemeinen Ausnahmezustands Urlaubssperre, egal, ob er Uniform trug oder ein Kriminalkommissariat leitete.
    Als der belebende Duft des Kaffees den Raum durchzog, stand sein Entschluss fest. Er würde vor Aschermittwoch das Haus nicht verlassen, auch wenn er kaum zur Ruhe käme. Seit Leahs Tod arbeitete er nicht mehr. Sein Arzt hatte ihm sofort Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und dieses Attest seitdem regelmäßig erneuert. Noch beim letzten Besuch sagte Dr. Wolters: »Überfordern Sie sich nicht! In Ihrem Beruf kommt es vor allem auf die psychische Stabilität an. Nur Sie selbst können entscheiden, wann Sie so weit sind.«
    Thal war sich nicht sicher, ob er jemals wieder arbeiten wollte. Er wurde in diesem Jahr sechzig, und für Leah und ihn stand lange fest, dass er an diesem Geburtstag seinen Dienstausweis zurückgeben würde. »Wenn ich dich später als Tattergreis pflegen muss, will ich so viel wie möglich von dir haben, so lange du noch voll Saft und Kraft bist«, hatte Leah an einem Abend kurz vor ihrem Tod lachend gesagt und ihn anschließend ins Schlafzimmer gezogen. Sonst waren die fünfzehn Jahre Altersunterschied ohne Bedeutung, in diesem Punkt aber stimmten sie überein. Sie konnten nicht miteinander alt werden, also wollten sie wenigstens ein paar Jahre ausschließlich für sich haben, ohne dass er ständig auf Abruf stehen musste.
     
    Unter der Dusche überlegte Thal, was er einkaufen müsse, um die Fastnachtswoche in seiner Höhle zu überstehen. Auf jeden Fall würde er den Doktor bitten, sein am Wochenende ablaufendes Attest erneut zu verlängern. Danach fühlte er sich frischer als in den letzten Wochen. Aus Angst, seine Müdigkeit könne zurückkehren, zog er sich den langen Wintermantel an, setzte den Hut auf und verließ die Wohnung, ohne gegessen zu haben. Das Frühstück war ihm nie wichtig gewesen. In den vergangenen einhundertvier Tagen hatte er an neunzig darauf verzichtet. Im Treppenhaus roch es nach frischen Brötchen. Thal verspürte
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