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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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und das Auflegen von
Reliquien. Heilerfolge werden in Windeseile weitererzählt und in Geschichten
ausgeschmückt; die Orte und Personen können dabei wechseln, aber es wird
letztlich immer wieder bestätigt: „Dios ayuda y Santiago“ - „Gott hilft und der
heilige Jakob“.
     
    Im
15. Jahrhundert wird von einem Engländer erzählt: Er hatte sich nach Santiago
aufgemacht, um von einer schweren Krankheit geheilt zu werden. Doch er hatte
eine unüberwindliche Angst, sich zur Überfahrt auf das Festland einem Schiff
anzuvertrauen. Er kehrte deswegen nach Hause zurück und wurde unterwegs gesund.
Da bekam er auch den nötigen Mut, die Pilgerfahrt zu wagen und dem fernen
Apostel Dank zu sagen.
     
    Eine
Frau, die wegen ihres gekrümmten Rückens nur auf den Knien gen Santiago
unterwegs war, richtete der Apostel mehr und mehr auf, so daß sie bald aufrecht
und gerade ihren Pilgerweg fortsetzen konnte. Ein Ritter, den Freunde wegen
seiner Schwäche anfänglich aufs Pferd binden mußten, kann den Weg bald auf
eigenen Füßen machen. Solche Geschichten sind Legion; sie beflügeln die
Schritte der Pilger und geben den Müden neue Kraft.
     
    Jakobus
wirkt auch noch aus der Ferne, so berichten es die Überlieferungen: Ein Soldat
in Italien, man schreibt das Jahr 1106, bekommt ein schreckliches Halsleiden.
Die Schlagadern blähen sich gewaltig auf; kein Arzt kann helfen. Ein kleines
Pilgerkreuz, das die Wallfahrer aus Santiago mitbringen, wird an den Hals
angelegt und schon ist er gesund. Natürlich macht er sich in großer Dankbarkeit
auf den Weg nach Galizien. Vorschrift für die Anerkennung einer Heilung ist
nach dem Liber Sancti Jacobi, daß es keinerlei natürliche Erklärung für das
Verschwinden der Krankheit gebe; ebenso durften keinerlei Heilmittel angewendet
worden sein wie Salben, Pflaster, Tinkturen, Heiltränke und ähnliche
medizinische Methoden.
     
    Viel
Aufmerksamkeit erforderte das Schuhwerk. Wir modernen Pilger liefen in
speziellen Turnschuhen, bekamen dennoch unsere Fußprobleme, und hatten die
Schuhe bis Santiago durchgelaufen. In allen Pilgerberichten werden die
Erfahrungen mit den verschiedensten Materialien überliefert. Das Ergebnis war
wie bei uns nach einigen Tagesmärschen meist das gleiche: „Mir bluteten die
Füße, daß meine Freunde sehr erschrocken waren“, schreibt einer. Und ein
anderer: „Ich warf mein erstes Paar Schuhe weg, weil sie mich quälten; das
zweite Paar wurde mir gestohlen; jetzt gehe ich barfuß, dem Himmel sei Dank!“
Der Arme war glücklicherweise im Sommer unterwegs. Denn ein anderer berichtet:
„Im hohen Schnee habe ich meine Füße in Stoff eingewickelt und war doch halb
erfroren, bis ich endlich zur Herberge kam.“
     
    Schuhe
     
    Die
kleinen Dinge
    werden
wichtig,
    beachtet
die Nichtbeachteten.
    Der
Schmerz in den Beinen,
    die
Müdigkeit der Füße,
    der
quälende Durst.
    Doch
unsere Schuhe zeigen sich
    von
ihrer stärksten Seite.
    Jeden
Schritt gehen sie mit,
    geduldig
gehen sie mit
    zwei
Millionen und mehr Schritte
    als
wäre es einer.
    Gehen
mit
    und
geben sich unterwegs auf.
     
    Wir
zahlen bald den Wegezoll aller Pilger. Blasen, Schrunden und offene Wunden
machen das Gehen nach einigen Tagen zur Qual. Die Schmerzen verstärken sich mit
jedem Schritt, in den Beinen, in den Knien, im Rücken. Der Nacken verspannt
sich; die Trageriemen des Rucksackes graben sich ein. Nach einer Rast wird das
Aufstehen und Weitergehen fast zur Tortur. Und doch setzen wir einen Fuß vor
den anderen, Tag für Tag, ohne uns einen Ruhetag zu gönnen, als würden wir von
einer geheimnisvollen Macht gezogen und getrieben. Tausend und abertausendmal
wiederholen sich die Schritte, 1250 für jeden Kilometer, der uns Santiago näher
bringt.
     
    In
den alten Pilgerberichten werden viereinhalb Kilometer für die Wegstunde als
Leistung angegeben. Im Auf und Ab des Weges, das Ziel im Westen hat seine
Nachteile, da wir die Fluß- und Bachtäler, die alle nach Süden gerichtet sind,
queren müssen, schaffen wir auch kaum mehr. Dreißig bis vierzig Kilometer
gingen die rüstigen Pilger einst, manche weit weniger, weil sie sich unterwegs
versorgen mußten; wir hatten uns auf einen Durchschnitt von 35 Tageskilometern
eingestellt. Deswegen waren wir acht bis zehn Stunden unterwegs; und wir
zählten, noch vierzig, noch neununddreißig, noch achtunddreißig Tage bis zum
Apostel.... Fein säuberlich wurden die Strecken hinter uns im Pilgerbuch
notiert. Wir lernten die große Sehnsucht der Pilger nach
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