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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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heilsamen Pflanzen
und der okkulten Mittel lebensrettend sein.
     
    Zudem
gingen viele Wallfahrer als Kranke auf den Weg. Sie erhofften sich, angeregt
durch die zahlreichen wundersamen Geschichten und Legenden, unterwegs oder am
Ziel Heilung, wenigstens Linderung ihrer Beschwerden und Gebrechen. Gab es nicht
rechts und links vom Weg Kirchen und Klöster, die allerlei wundertätige
Reliquien beherbergten? Mancher Umweg wurde deswegen in Kauf genommen. Hatten
nicht viele vor ihnen bereits die Hilfe der Heiligen, die am Weg verehrt
wurden, erfahren? Wartete nicht in Conques die große Fides, um den Kranken und
Behinderten weiterzuhelfen? Und wurde nicht vielerorts an den Feuern der
Herbergen erzählt, wie der Apostel Jakobus persönlich helfend eingegriffen
hatte?
     
    Gegen
jede Krankheit gab es ein Kraut und einen Heiligen. Die Leprakranken, der
Aussatz war im Mittelalter in Europa noch weit verbreitet, hatten sich als
Schutzpatron und Helfer den Lazarus ausgesucht, der nach dem Gleichnis Jesu
unter dem Tisch des reichen Prassers an seinen offenen Geschwüren verdarb und
in Abrahams Schoß aufgenommen wurde. Die kranken Frauen auf dem Weg,
Pilgerinnen waren zu allen Zeiten bis heute eine Minderheit, wandten sich in
ihrer Not an Maria Magdalena, die unter dem Kreuz Christi ausgehalten hatte.
Solche, die an einem schlimmen Fieber litten, nicht selten ausgelöst durch das
Mutterkorn im Mehl, beteten zu Antonius dem Einsiedler, den der Legende nach
ein inneres Feuer fast verbrannte. Die Pestkranken bauten auf den hl. Rochus.
Die Deutschen hielten es mit dem Erzengel Michael, der „deutsche Michel“ kommt
also nicht von ungefähr, oder mit Johannes dem Täufer, der zugleich Patron der
Johanniter und der Malteser war. Das Vertrauen auf jenseitige Hilfe war
jedenfalls sehr groß; allerdings nahm die Wundersucht gelegentlich obskure und groteske
Formen an. Deswegen spottet ein Lied in jener Zeit:
     
    Ein Wunder?
     
    Der
kinderlose Mann
    eilt
nach Santiago,
    um
zu beten.
    Heiliger
Jakob!
    Ist
er lange genug ausgeblieben,
    findet
er zu Hause
    zwei
Kinder vor oder mehr.
    O
Jakobus! Ein Wunder?
     
    Nicht
immer brauchte es Wunder oder gar Zauberei. Für den Pilger war es wichtig, sich
unterwegs an Bekanntem oder Vertrautem festhalten zu können. So begleitete die
Wegwarte, eine hübsche Blume mit blauem Stern, anspruchslos und vielseitig den
Wallfahrer von seinem Heimatort bis zur Stadt des Apostels. Die schönsten
Erzählungen ranken sich um diese ausdauernde Blume am Weg. Weil sich ihre
hellblauen Blüten immer der Sonne zuwenden, wurden sie mal mit der Gottesmutter
Maria in Verbindung gebracht, die ja auch mehrmals auf dem Weg war, übers
Gebirge zu ihrer Base Elisabet, in ihrer Schwangerschaft nach Bethlehem, der
Stadt Davids, und dann auf der Flucht nach Ägypten; ein andermal erinnerten sie
den Wallfahrer an die Liebste, die er zu Hause zurückgelassen hatte, in der
Hoffnung, sie wiederzusehen. Wenn die Wegwarte schon die heilige Familie aus
Ägypten nach Nazaret zurückgebracht hatte, dann konnte sie auch den Pilger
wieder sicher nach Hause bringen.
    Und
wirklich: Auf unserem langen Weg begleitet uns die hübsche Blume, von der Höhe
über Le Puy bis zum Monte Gozo, dem Berg der Freude, vor Santiago; dort stand
sie, unberührt vom brausenden Verkehr direkt am Ortsschild. Überdies war die
Wegwarte in den alten Zeiten für mancherlei Beschwerden nützlich. Ihre Blätter
heilten offene Wunden und vertrieben Schwellungen, ihre Wurzeln waren
magenstärkend und halfen bei Leber- und Gallenkrankheiten. Wir tranken in
diesen Fällen lieber einen Wermut.

4
    Das
Wort, das dir hilft,
    kannst
du dir
    nicht selber sagen

W ar der Sinn des Pilgers auf das
Jenseits gerichtet, auf die Begegnung mit dem Heiligen und Außergewöhnlichen,
er mußte sich doch mit dem Irdischen und allzu Menschlichen herumschlagen. Das
große Ziel gab ihm zwar die Kraft, weiterzugehen; doch die Mühsal, die Lasten, die
Beschwerden, die Wunden und Krankheiten galt es zu tragen und zu überwinden. So
gehören die Rezepte und Ratschläge gegen Blasen und offene Wunden an den Füßen,
gegen Husten, Nasenbluten, Erbrechen und Durchfall, gegen Lungenentzündung und
Auszehrung zum täglichen Austausch unterwegs, in den Klöstern und Hospizen. Die
Empfehlungen sind oft recht seltsam; manchmal schon am Rande der Magie und des
Aberglaubens angesiedelt. Zu den Tinkturen und Wässerchen, zu geweihtem Wachs
und Hirschtalg, kommen oft Stoßgebete, Beschwörungsformeln
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