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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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für unsere Feldflasche
Wasser erbitten oder ein einfaches Nachtlager bekommen haben. Wir sind
aufgebrochen, die ersten, entscheidenden Schritte sind gemacht: „Aufbruch
bedeutet: sich ins Unbekannte, Ungewohnte und Ungewisse wagen. So wird das
Leben zu einer Entdeckungsreise, die uns oft nicht dahin führt, wohin wir
kommen wollten, und uns oft nicht finden läßt, was wir zu finden hofften, uns
dafür aber Bereiche erschließen läßt, von deren Existenz wir keine Ahnung
hatten“ (Rudolf Stertenbrink). Wie wird es uns ergehen?
     
    Le
Puy, eine Stadt auf vulkanischen Felsen. Die romanische Basilika mit
byzantinischen Einflüssen steht zur einen Hälfte auf schwarzen Basaltsteinen,
zur anderen auf gewaltigen Pfeilern. Hier begannen wir unseren Traumweg. Es war
ein Weg ins Ungewisse. Ein leichter Schauer überkam uns, wenn wir an den Weg
dachten. Hier in Le Puy haben sich die Pilger gesammelt; anders als wir hatten
sie bereits einen weiten Weg hinter sich gebracht. Aber die Gemeinschaft der
vielen Menschen, die zum gleichen Ziel unterwegs waren, beflügelte sie und ihre
Genossen aus dem Frankenland, aus Ungarn und aus den anderen Ländern des
Ostens.
     
    Die
schwarze Madonna von Le Puy, leider eine Kopie, die Originalfigur wurde in der
französischen Revolution von 1794 auf dem Schindanger der Stadt verbrannt,
begleitete die Pilger mit ernstem Gesicht und dem Kind auf dem Arm bei ihren
tastenden Versuchen.
     
    Immerhin
erteilte uns der Domherr auf unser dringliches Bitten nach der Messe seinen
speziellen Pilgersegen in der Sakristei, hier wird auch die Bibel des Bischofs
Theodulf aus dem 8. Jahrhundert gezeigt, das Formular für den Segen hatte
Hochwürden umständlich aus einer Schublade gekramt. Dann drückte er uns den
ersten Stempel mit dem Bild der Schwarzen Madonna ins Pilgerbuch. Der Weg,
unser Weg, konnte beginnen.
     
    Einer
der ersten, der von hier aus den Weg zum Apostel Jakobus antrat, war im Jahre
951 Godeshalk; der Bischof ist der erste namentlich bekannte Wallfahrer nach
Santiago und führt die endlose Pilgerliste bis zum heutigen Tag an. Auch wir
wurden bei unserer Ankunft in Santiago registriert und genau nach unseren
Motiven für unsere Wallfahrt befragt; beim Sekretär der hl. Kathedrale zählen
nur das Gelübde und der fromme Wunsch, den Apostel Jakobus zu ehren. Wir
bekamen die Nummern 2117 und 2118 für das Jahr 1989.
     
    Steil
führt uns der Weg aus der Stadt bergauf. Schon die ersten Meter unserer langen
Pilgerfahrt bringen uns außer Atem. Wir schauen verschnaufend zurück auf die
bizarre Vulkanlandschaft zu unseren Füßen. Von unten grüßt die die große Statue
„Unsere liebe Frau von Frankreich“, aus dem Metall der in der Schlacht von
Sewastopol erbeuteten Kanonen gegossen, und die Michaelskapelle, die sich seit
dem 10. Jahrhundert ebenfalls auf einem Vulkanfelsen erhebt. Wir haben große
Helfer in unserem Rücken, die Madonna und den Weggeleiter der Deutschen, St.
Michael.
     
    Eine
Horde bellender, halbwilder Hunde aus einem nahen Weiler reißt uns schnell aus
den Abschiedsgedanken. Jetzt wäre ein Pilgerstab gerade richtig. Aber die Hunde
ziehen sich kläffend zurück. Das erste Kreuz inmitten eines großen Steinhaufens
bezeichnet den Weiterweg genauso wie das Rot-Weiß der offiziellen Wegmarkierung
in Frankreich. Die Basaltwälle, die die ausgedehnten Felder umrahmen, werfen
geometrische Riesenmuster in die karge Landschaft. Die verstreuten Bauernhöfe
aus dem gleichen Gestein wirken kalt und abweisend. Viele sind bereits
verlassen; ihre leeren, dunklen Fensterhöhlen starren uns an. Noch sind die
Schlehen, die Hagebutten und Haselnüsse grün. Bis wir beim Apostel sind, werden
sie reif sein.
     
    Die
Via Podensis, so heißt unser Weg von Le Puy bis Ostabat am Rand der Pyrenäen,
ist auf dem ersten Stück als Karrenweg mit holprigem Basalt gepflastert. Bald
aber wandelt er sich in einen schmalen Bergpfad. Wir sind allein. Es ist heiß
geworden. Die Hitze des ungewöhnlichen Sommers wird uns noch 42 Tage begleiten.
Der Schweiß rinnt uns von der Stirne; endlich sind wir bei einem Brunnen
angelangt, der uns Trinkwasser spendet. Wir sind froh, daß wir den alten
Pilgerrat befolgt haben:
     
    Ihr,
die ihr nach Santiago pilgert,
    nehmt
wenigstens im Sommer
    keine
schwere Last mit,
    sondern
wandert leicht...
     
    Wallfahren
mit leichtem Gepäck. So, wie der Christ durchs Leben gehen soll, möglichst
unbelastet von den Schwierigkeiten und den Dingen der Welt. Dennoch wiegt
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