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Lauter reizende Menschen

Lauter reizende Menschen

Titel: Lauter reizende Menschen
Autoren: Mary Scott - Joyce West
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empfunden wurde.
    »Sie sagten, jemand habe Grund für den Mord gehabt«, fuhr Len todernst fort. »Was für einen Grund denn? Gewiß war Davis kein netter Mensch — aber weshalb sollte jemand ihn deshalb ermorden?«
    »Davis war Erpresser, und ein Grund, einen Erpresser zu ermorden, ist stets vorhanden. Er hatte verschiedene Geheimnisse aus der Vergangenheit mehrerer Leute entdeckt, die hier in der Gegend wohnen.«
    »Geheimnisse?« fragte Annabel ungläubig. »Wer könnte denn hier Geheimnisse haben?«
    Ross lächelte sie an. »Sie würden staunen, wenn Sie erführen, wer alles etwas zu verbergen hat — sogar unter lauter netten Menschen! Aber keiner der Leute schien mir, wie gesagt, wirklich hinreichend verdächtig, und so suchte ich nach einem Alibi, das sich widerlegen ließ. Dabei fing ich ausgerechnet bei Carmen an, so wenig ich mir auch vorstellen konnte, daß sie die Schuldige sei. Eine einzige Eigenschaft hatte sie, die mir gewichtig erschien: Sie war in verschiedener Hinsicht von fixen Ideen besessen — vor allem im Hinblick auf den Gartenbau und auf ihren Großvater.«
    Nunmehr wurde es Augusta klar, daß die Unterhaltung gar zu lange ohne ihre Mitwirkung dahingeströmt war. Immerhin wäre sie um ein Haar das zweite Opfer des Falles geworden! Deshalb gebührte ihr wohl ein Wort in der Auseinandersetzung! So griff sie entschlossen ein.
    »Ich begreife beim allerbesten Willen nicht, wieso das arme Wesen danach trachtete, mich umzubringen. Gewiß kann ich als Motiv die Eifersucht auf eine andere Künstlerin, der mehr Erfolg beschieden war, einsehen. Aber was meinte sie nur mit dem Vorwurf, ich hätte spioniert?«
    Höflich wandte sich Ross ihr zu, aber Lucia bemerkte wohl das schnell beherrschte Aufflackern lebhaften Vergnügens in seinen Augen. »Eifersucht war es nicht, Mrs. Wharton, sondern das plötzliche Gefühl, sich mit dem Verkauf jenes Bildes verraten zu haben. Natürlich ahnte sie nicht, daß Sie es Jim schenken würden, aber sie fürchtete, Sie hätten ihr Geheimnis erkannt und würden es nun früher oder später enthüllen. Sie glaubte anscheinend, Sie hielten das Gemälde für wertvoll.«
    »Diesen Schinken?« fuhr Augusta auf, und dann versuchte sie, den bloßen Gedanken daran beiseite zu husten. Annabel stieß ihren Mann boshaft in die Seite, aber Jim ließ kaum ein Auge von Ross und hatte nur einen spöttischen Seitenblick für sie übrig.
    »Als sie es verkaufte, brauchte sie ganz dringend Geld«, fuhr Ross fort. »Davis hatte sie nämlich restlos ausgenommen. Nachher also fiel ihr ein, daß sie Ihnen gesagt hatte, sie habe das Bild in einer Feldscheune gemalt, und sie fürchtete, Sie könnten auf den Gedanken kommen, es sei der Schuppen auf dem Grundstück von Davis gewesen. Natürlich entsprang dieser Gedanke keiner kühlen Überlegung. Aber sie geriet in Panik. Vergessen Sie nicht, daß sie in mancher Hinsicht nicht zurechnungsfähig war.«
    »Das arme Ding!« stieß Annabel hervor. »Und wir alle hielten sie für eine liebe harmlose Irre!«
    »Ihre fixen Ideen waren ursprünglich auch harmlos, aber sie wuchsen sich aus, bis sie wirklich gefährlich wurden. Davis hatte sie ausgepreßt — gewiß entrang er ihr keine so großen Beträge wie manchem andern seiner Opfer, aber doch mehr, als sie sich auf lange Sicht leisten konnte«, erklärte Ross.
    »Aber nichts von alledem ahnten Sie zunächst?« fragte Jim.
    »Ganz und gar nichts«, gab Ross zu. »Ich begann nur deshalb mit Carmens Alibi, weil es mir besonders hieb- und stichfest vorkam, und jeder Leser von Kriminalromanen weiß ja, daß man unerschütterlichen Alibis zuallererst mißtrauen muß. Nun, heute früh kam ich ins Gespräch mit dem Busfahrer, mit dem Miss Mills befreundet war. Erst zierte er sich ein bißchen, aber nachdem ich ihn darauf aufmerksam machte, daß es um die Aufklärung eines Mordes ging, rückte er mit der Sprache heraus. Sie ist tatsächlich mit ihm in die Stadt gefahren und hat ausnahmsweise das Fahrgeld bezahlt und darauf bestanden, daß sie in die Passagierliste eingetragen wurde. Kaum aber hatten sie die Hochebene erreicht, da bat sie ihn zu seiner Überraschung, aussteigen zu dürfen. Sie hatte ihr Malzeug bei sich und erklärte, ganz unvermittelt habe der Schaffensdrang sie überkommen, und sie müsse ihm unbedingt auf der Stelle nachgeben. Gleichzeitig schärfte sie ihm ein, auf keinen Fall dürfe er jemandem etwas davon sagen, weil man sie dann nur auslachen würde; und nur er habe doch Verständnis
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