Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute
Autoren: Bernard Glemser
Vom Netzwerk:
stand sehr nahe. Er sagte: »Ich glaube, sie hat recht, er wird verstehen, was sie damit meint.«
    Plötzlich, ohne zu wissen warum, wurde ich schrecklich nervös. Ich konnte nicht sprechen; konnte kaum atmen.
    »Ich werde es Mr. Dietrich erzählen«, sagte er. »Er sollte wohl wissen, wie die Situation sich weiter entwickelt.«
    »Ja«, erwiderte ich, immer noch reichlich aus der Fassung. »Das sollte er wohl.«
    »Vielleicht wäre es gut, wenn Sie einen Bericht schreiben würden.«
    »Das ist eine gute Idee. Wir sollten die Sache in allen Einzelheiten festhalten, wie sie sich abgespielt hat. Ich könnte morgen kommen und den Bericht diktieren.«
    »Ich habe Ihnen doch eben gesagt, daß Sie morgen nicht kommen sollen«, gab er ärgerlich zurück. »Ich habe Ihnen gesagt, ich will nicht, daß Sie sich überanstrengen. Ich habe Ihnen gesagt — «
    Er unterbrach sich, ihm schien nichts mehr einzufallen.
    Ich sah ihn an. Völlig idiotisch dachte ich: Mein Gott, was passiert jetzt? Und noch ehe ich mir diese alberne Frage auch nur beantworten konnte, fand ich mich in seinen Armen wieder, er küßte mich, ich wurde von seinem Schnurrbart gekratzt und verging beinahe vor Glück, von ihm im Arm gehalten und geküßt zu werden.
    Und dann, mitten in dem ganzen Feuerwerk und der Verwirrung, hörte ich ein Klopfen an der Tür und stieß ihn zurück.
    Er sah mich wütend an. Das Klopfen hatte er wohl überhört — beschäftigt wie er war. Und folglich verstand er nicht, warum ich mich von ihm befreite.
    »Mr. Kirkpatrick«, flüsterte ich dringend — doch es blieb keine Zeit, ihm etwas zu erklären.
    Sein Gesicht war ziegelrot. »Verzeihung«, murmelte er und strebte mit großen Schritten zur Tür, als könne er nicht schnell genug hinauskommen. Er öffnete die Tür mit einer Wucht, die sie fast aus den Angeln riß und stand Vivienne Gordon gegenüber.
    »Oh, Mr. Kirkpatrick«, sagte sie mit vergnügtem Lächeln. »Störe ich hier?«
    »Nein«, raunzte er und strebte an ihr vorbei.
    Sie kam herein und betrachtete mich mit einem ganz neuen Interesse, als habe sie meine Vielseitigkeit völlig unterschätzt. Es mußte wohl sonnenklar sein, daß sich in den vergangenen Minuten hinter meiner verschlossenen Tür einige sehr dunkle Dinge abgespielt hatten. Die Atmosphäre knisterte.
    Ich begrüßte sie so ruhig ich das fertigbrachte: »Hallo, Miß Gordon.«
    »Es ist zwanzig nach fünf. Machen Sie jetzt nicht die Tagesabrechnung?«
    »Stimmt.« Ich holte tief Atem. Ich mußte mich mit aller Gewalt zusammenreißen. Am liebsten wäre ich Kirkpatrick nachgerannt und hätte ihm erklärt, warum wir in einem so kritischen, herrlichen Moment unterbrochen wurden; ich wollte herausfinden, was ihn dazu getrieben hatte, mich in die Arme zu reißen und so heftig und leidenschaftlich zu küssen; ich wollte sehr viele Dinge herausfinden, über ihn und mich. War das nur ein Auflodern gewesen? War das lediglich die Art und Weise, wie er alle stellvertretenden Einkäuferinnen belohnte, wenn sie gut gearbeitet hatten? War das —
    Aber es war zwanzig Minuten nach fünf, und die Tagesabrechnung mußte fertig werden, oder aber die IBM-Maschinen im zwölften Stock würden verrückt spielen und durchs Dach fliegen. »Holen Sie sich einen Stuhl, Miß Gordon«, sagte ich.

12

    Die Abrechnung war fertig, das letzte Wort über die Probleme der Abteilung Brautausstattungen für diesen Tag gesagt, und Miß Gordon und ich trennten uns, um jede unserer Wege zu gehen. Draußen auf der Straße blieb ich stehen und warf einen schnellen Blick straßauf, straßab, um festzustellen, ob vielleicht zufällig Russell Kirkpatrick in einem Eingang lauerte und auf mich wartete.
    Keine Spur von Russell Kirkpatrick.
    Ich hegte die leise, irrsinnige Hoffnung, daß, wenn ich mich nahe an den Saumstein stellte und ein unschuldiges Gesicht machte, ein Taxi plötzlich halten, die Tür sich öffnen und eine barsche Stimme mir bedeuten würde einzusteigen. Schließlich passierte derartiges ein Dutzend Mal jeden Abend auf dem Femsehschirm.
    Auf der Fifth Avenue vor dem prächtigen Warenhaus Fellowes jedoch passierte es an diesem Abend nicht.
    Als ich zu Hause ankam, waren die Dinge um nichts besser. Nie, so lange ich mich erinnern konnte, war mir meine Wohnung so leer und freudlos erschienen. Das Telefon klingelte, als ich gerade aus der Dusche kam, und ich flog an den Apparat, fest davon überzeugt, daß es mein rothaariger Tyrann sein würde, kategorisch verlangend, daß ich auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher