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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute
Autoren: Bernard Glemser
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der Stelle ein Steak mit ihm essen gehen sollte. Es war aber nur jenes Mannsbild aus dem Modellzeichenkurs, wieder mit zwei Karten fürs Ballett. Ich hatte den Argwohn, daß er die verdammten Dinger selbst druckte. Jedenfalls hatte ich nicht die geringste Neigung mitzugehen, und das sagte ich ihm auch.
    Es war wieder einer jener Abende, an denen das Telefon nicht stillsteht, und ich sagte mir, daß rein vom Gesetz der Wahrscheinlichkeit her einer dieser Anrufe von Russell Kirkpatrick sein müsse. Aber er rief nicht an. Und ehe ich schlafen ging, versuchte ich nach Kräften, ihn mir aus dem Sinn zu schlagen. Ich versuchte das, was sich in meinem Büro abgespielt hatte, vernünftig und sachlich zu betrachten.
    Er hatte mich geküßt. Na, und? Das bewies nichts außer der Tatsache, daß die Abteilung Brautausstattungen, in der sich pünktlich jeweils zur vollen Stunde irgendeine Krise zu ereignen pflegte, zuviel für den armen Mann gewesen war. Bei ihm war unter dieser Belastung plötzlich vorübergehend der Film gerissen. Die Möglichkeit war gering, daß er mich, wenn er mich am Samstagmorgen das nächstemal sah, mit Küssen bedecken würde. Er würde vielmehr zweifellos derselbe alte Kirkpatrick sein, der über unser aller Köpfe die Peitsche schwang, damit die Zirkusschau in allen fünf Bahnen weiterlief.
    Warum dies vorübergehende Irresein die Form hatte, in der es aufgetreten war, kann ich nicht erklären. Ich weiß nur, daß ich zwar noch nie von einem Etagenchef geküßt wurde, jedoch bei nicht weniger als drei Gelegenheiten Gegenstand ihrer Leidenschaft (oder Phantasie) war. Das letztemal lag sogar nur wenige Monate zurück, als wir eines Abends noch lange nach Geschäftsschluß arbeiteten, Inventur machten — eine scheußliche und anstrengende Arbeit. Plötzlich, ungefähr gegen elf Uhr, als ich mich mehr tot als lebendig fühlte — und auch so aussah — fand ich mich durch keinen anderen als unseren früheren Etagenchef, Mr. Chubb, in die große Anprobe gejagt. Nun ist Mr. Chubb so ungefähr der netteste, freundlichste kleine Mann, den man sich vorstellen kann, ein liebevoller Ehemann und Vater; doch diesmal sah er merklich nach Notzuchtabsichten aus, und er riß sich erst zusammen, als ich eines unserer kleinen Goldstühlchen aufhob und sagte: »Mr. Chubb, wirklich, wenn Sie nicht mit diesem Unsinn aufhören, haue ich Ihnen den über den Kopf, und wie wollen Sie das dem Verkaufsleiter erklären?«
    Jeder Mann mit ernsthaften Notzuchtabsichten hätte sich durch diese meine damenhafte Drohung keine Sekunde zurückhalten lassen, doch Mr. Chubb fiel in sich zusammen und wurde wieder sein normales, bescheidenes Selbst. Was ihn entflammt hatte? Der Himmel mag es wissen. Mein Charme jedenfalls war es nicht.

    Mein Tag schlich trübselig dahin. Ich schlängelte mich ein paarmal durch den Washington Square Park in der Hoffnung, wieder den großen, schönen Dobermann zu treffen, doch jemand vernachlässigte ihn offenbar sträflich, und er erhielt nicht die ihm nötige Bewegung. So war es beinahe ein Vergnügen, am Samstagmorgen wieder ins Geschäft zu gehen. Einige Minuten vor neun trabte ich durch den Angestellteneingang von Fellowes, holte mir die Schlüssel von Mr. O’Reilly, fuhr hinauf in den fünften Stock, lief durch Miederwaren, Negliges, Schuhe und Modehüte und blieb — sentimental angehaucht — am Eingang zum Brautsalon stehen.
    Es war das letztemal, daß ich diese täglichen Obliegenheiten wahrnahm. Ab Montag würde Vivienne Gordon es übernehmen, die Abteilung morgens zu. öffnen, und aller Wahrscheinlichkeit nach würde ich das Foyer nie wieder so sehen wie jetzt — geräumig, stilvoll und rätselhaft im Dämmerlicht, ohne Menschen, in einsamer Majestät. Ich stand und schaute, freute mich an der Stille und Schönheit der Linien — bis diese Stille plötzlich unterbrochen wurde. Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoß. Nur Russell Kirkpatrick ging so, und ich war verwirrt, weil ich keine Ahnung hatte, ob er in friedlicher oder kriegerischer Absicht nahte. Würde er mich in die Arme reißen und da fortfahren, wo er vorgestern abend in meinem Büro aufgehört hatte? Oder würde er mich rügen für irgend etwas, das ich getan oder unterlassen hatte?
    Er blieb knapp zwei Meter vor mir mit einem irgendwie rasselnden Geräusch stehen, als ob tief in ihm ein Sicherheitsventil im Begriff stünde nachzugeben. Mein Herz flog ihm entgegen. Was für ein gutaussehender, männlicher Mann.
    »Guten
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