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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen
Autoren: Gerhard Mall
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endlich gut voranzukommen. Der Weg führt durch Croix de Signy, einen Zwei-Häuser-Ort, wo ich Rast mache und Marmeladenbrote esse. Schon nach einer halben Stunde geht es weiter, ich bin richtig im Lauftrott.
    Hinter Villeneuve biege ich in Richtung Longessaigne von der Route ab, weil es dort gemäß dem Reiseführer, den ich zuerst so inspirierend fand, einen Campingplatz auf einem Bauernhof geben soll. Erstmals suche ich bewusst einen bestimmten Übernachtungsplatz und lasse mich nicht vom Schicksal leiten. Prompt folgt die Pleite. Ich erfahre in Longessaigne, dass es dort keinen Campingplatz gibt, sondern fünfeinhalb Kilometer südlicher, direkt am GR 7.
    Zuerst ärgere ich mich über die Ungenauigkeit des Buches. Das ist die eine Ebene, sich mit der Anstrengung des Umwegs auseinanderzusetzen. Dann aber verlasse ich den Ärger und stelle fest: Übernachtungsplätze besser nicht mit dem Willen anstreben, sondern mit der Intuition, in einer Haltung innerer Offenheit, suchen. Dann lassen sie sich finden. Ein Prinzip, das sich bei der Suche nach „wilden.“ Zeltplätzen in den Urlauben früherer Jahre immer wieder bewährt hat. Ich merke, dass es noch eine dritte Ebene gibt. Ich wollte Sicherheit, wollte die Lage selbst in die Hand nehmen. Die andere Haltung wäre gewesen, darauf zu vertrauen, dass das Richtige zum rechten Zeitpunkt kommt und bestimmte Vorstellungen loszulassen. Da sind sie also wieder, meine inneren Themen „Loslassen.“ und „Vertrauen.“!
    Auf allen Ebenen konstelliert der Weg Situationen, die mich auf meine Themen stoßen.
     
    Also marschiere ich weiter, die Erkenntnis beschwingt mich und ich komme gut voran. Unterwegs ein Gewitter rechts hinten und eins links vorne, die ab und zu durch Donnergrollen kundtun, dass sie noch da sind.
    Ich wünsche mir bei meinem Schutzengel, dass es nicht regnen soll, bevor ich im Trockenen bin.
    Als ich den Campingplatz erreiche, ist es kurz vor sechs, eine gute Zeit, um aufzuhören. Bis auf ein paar einzelne Tropfen hat es nicht geregnet. Ich versuche, einen Wohnwagen für die Nacht zu bekommen, aber es gelingt nicht, weil die Verantwortlichen in St. Etienne wohnen und telefonisch gerade nicht zu erreichen sind. Ein Ehepaar, das auf dem Platz ist, hat mir seine Hilfe angeboten und für mich dort anzurufen versucht. Mein Handy habe ich bewusst daheimgelassen.
    Mein Zelt baue ich auf, als es gerade zu tröpfeln beginnt und habe meinen trockenen Platz beim Regen. Nach einer guten halben Stunde hört es plötzlich auf, obwohl es ringsherum immer donnert, und mir bleibt Zeit, endlich gemütlich heiß zu duschen und meine Fotoakkus wieder aufzuladen, in einer erstaunlich kurzen Zeit, obwohl sie jetzt seit Samstag im Einsatz sind. Während der Zeit wasche ich noch ein T-Shirt in der stillen Hoffnung, dass es trotz der hohen Luftfeuchtigkeit morgen trocken ist. Im Ganzen habe ich heute gespürt, dass ich viel besser eingelaufen bin als in den ersten Tagen. Das berechtigt zur Hoffnung, dass ich es bis Santiago schaffen werde. Wenn ich bedenke, dass ich praktisch ohne jede Übung losgelaufen bin, kann ich mit mir recht zufrieden sein. Ich beginne, meinen eigenen Rhythmus zu finden, meine Kräfte gut einzuschätzen, auf körperliche Warnsignale zu achten und auch ein wenig darauf zu vertrauen, dass das Leben es gut mit mir meint. Zum Tagesausklang setze ich mich auf einen Felsen am steilen Abhang, von wo der Blick in die immer dunkler werdende Landschaft schweifen kann, und schreibe Notizen. Es weht ein feiner Wind und mich fröstelt ein bisschen, obwohl ich die gute Fleecejacke anhabe.
     

Donnerstag, 7. Juni
    Der Tag fängt nicht gut an. Ich habe schlecht geschlafen, wache erst nach acht Uhr auf, habe Rückenschmerzen und fühle mich schlapp. Alles geht langsam. Dann kommt der Verantwortliche des Campingplatzes zum Kassieren. Er ist gesprächig und preist seinen Platz, gibt mir eine Visitenkarte, die Homepage, und hält sich und mich eine Viertelstunde auf. Sein Platz ist seine Welt. Für mich ist es nur eine Station auf einem langen Weg.
    In mir keimt Ungeduld und Ärger über die verlorene Zeit auf und gleichzeitig fällt mir das Motto ein: „Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.“ Es läuft auf meinem PC als Bildschirmschoner. Meine Tochter hat es einmal für mich dort installiert und hat sich sicher etwas dabei gedacht. Daheim gelingt es mir nicht sehr oft, dieses Motto zu beherzigen. Hier will ich es versuchen. Ich packe langsam
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