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Last days on Earth: Thriller (German Edition)

Last days on Earth: Thriller (German Edition)

Titel: Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Autoren: Julian Frost
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die Diele. Die linke Tür führte in einen hellen, weitläufigen Raum mit bodentiefen Fenstern. Karla blieb an der Tür stehen und sah sich verblüfft um. Was auch immer sie erwartet hatte – das war es nicht.
    In satten Farben glühende orientalische Seidenteppiche auf dunklem Eichenparkett, zart gemusterte Tapeten, Kristallleuchter und Stilmöbel, Bilder und Kunstgegenstände, eine Wand mit alten Büchern – alles nicht ihr Stil, aber dennoch war sie gegen ihren Willen beeindruckt.
    Andererseits herrschte aber auch das absolute Chaos. Kleidungsstücke, Papiertüten und Plastikbeutel, bekritzelte Zettel und abgekaute Bleistiftstummel, Pappbecher und kostbare Kristallgläser lagen und standen Seite an Seite auf einem Tisch; daneben Teetassen, in denen ölige Pfützen standen, und Teller mit kalten und zum Teil schimmligen Essensresten, überquellende Aschenbecher neben aufgeschlagenen Büchern, Schuhe, zusammengeknüllte Verpackungen von Süßigkeiten, Fast-Food-Kartons, leere Flaschen, zerdrückte Dosen, verwelkende Blumen in einer Vase, über einer Stehlampe hing ein Hut, auf dem Boden waren Papierfetzen verteilt und es roch durchdringend nach einer Mischung aus verdorbenen Lebensmitteln, Rauch, Alkohol und Mann.
    Letzterer erhob sich aus einem Sessel und nickte Karla zu. »Gehen wir nach nebenan in mein Arbeitszimmer«, sagte er.
    Karla bemerkte, dass sie sich jetzt schon an seine mangelnden Umgangsformen zu gewöhnen schien. Statt sich darüber zu ärgern, musterte sie Raoul Winter ungeniert und gründlich vom Kopf bis zu den Füßen.
    Er war groß, bestimmt anderthalb Köpfe größer als sie, und schlank an der Grenze zur Hagerkeit. Er trug einen ungepflegten Kinnbart, der in ebenso ungepflegte Stoppeln überging, sein viel zu langes dunkelbraunes Haar hatte sichtlich schon länger kein Shampoo mehr gesehen und hing ihm zottelig in die Stirn. Am Leib trug er eine dreckige, am Knie zerrissene Jeans und ein verwaschenes, offenes Hemd. Sie konnte seine Rippen sehen und die Narbe eine Handbreit unterhalb seines Schlüsselbeins, die aussah, als wäre er mit einem Brandeisen gezeichnet worden.
    Sie ließ ihren Blick hinunterwandern zu den komplett nackten Füßen, die auf dem teuren Orientteppich standen. Nackte, schmutzige Füße. Er sah aus, als wäre er barfuß durch den Park gejoggt, und zwar nach einem Regenguss. An seinen Zehen klebte Gras, und Schlamm trocknete zwischen ihnen zu braunen Krusten.
    Karla blinzelte mehrmals und räusperte sich. »Sind Sie Raoul Winter?«, fragte sie misstrauisch.
    »Wen haben Sie sonst erwartet?« Er verschwand ohne ein weiteres Wort im Nebenzimmer.
    Karla schüttelte den Kopf. Sie musste sich nicht mit diesem Irren auseinandersetzen. Sie konnte Obermagister Korngold anrufen und darum bitten, einem Kollegen den Fall zu übertragen. Einen Moment lang stellte sie sich die Reaktion ihres Chefs vor, dann seufzte sie und folgte dem Irren.
    Das Arbeitszimmer war ein nüchtern eingerichteter Raum. Hier gab es weder Teppiche noch Antiquitäten. Ein großer Schreibtisch dominierte das Zimmer, der ebenso vollgemüllt war wie das Wohnzimmer. Winter schaltete das Deckenlicht an, das kalt und unfreundlich mit dem dämmrigen Tageslicht kollidierte, das durch die halb zugezogenen Vorhänge ins Zimmer fiel.
    »Setzen Sie sich irgendwohin«, sagte Winter und wedelte unbestimmt in die Richtung einer kleinen Sitzgruppe. Karla räumte den Stapel Papier und Zeitschriften von einem der Sessel, betrachtete angewidert die halb mumifizierte Banane, die darunter zum Vorschein kam, und schob sie mit spitzen Fingern auf eine Zeitung. Sie bezwang den Impuls, den Sessel abzuwischen, und ließ sich hineinsinken.
    »Entschuldigen Sie die Unordnung, meine Haushälterin hat Urlaub«, sagte Winter so beiläufig, als bestünde die »Unordnung« aus ein wenig Staub auf den Möbeln und einer herumstehenden Kaffeetasse.
    Karla erwiderte nichts, sondern öffnete ihren Rucksack, um den Aktenordner herauszuziehen. »Kommen wir gleich zur Sache«, sagte sie und hielt Winter den Ordner hin.
    Winter musterte den Ordner, als wäre er eine scharfe Handgranate. »Was soll ich damit?«
    »Vielleicht ansehen?«, fragte Karla zurück. »Oder was machen Sie sonst mit dienstlichen Unterlagen?«
    Er verschränkte die Arme vor der Brust und senkte das Kinn, um sie an seiner großen, scharf gebogenen Nase vorbei zu mustern wie ein Geier, der ein Stück Aas auf Essbarkeit prüft. »Ich lese keine Akten. Erzählen Sie mir, was darin
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