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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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dort, von der urbanen Mitte der Hauptstadt, werden die Kinder zwanzig Kilometer weit an einen Brandenburger See gefahren, wo sie sich wie gewünscht bis halb eins und bei allen erdenklichen Witterungsbedingungen in der freien Natur aufhalten. Anschließend geht’s wieder mit dem Bus zurück in den Prenzlauer Berg, wo sie Mittag essen und anschließend bis fünf Uhr nachmittags betreut werden.
    Ich frage die Wissmanns, warum sie nicht aufs Land ziehen, wenn ihnen für die Kinder die frische Luft, die grünen Wiesen und der weite Blick so wichtig sind. Auch in Kleinstädten könne man glücklich werden, das wüsste ich sicher. Nein, sagt Susanne Wissmann, das würde nichts bringen – »im Osten gibt’s ja keine Waldkitas«. Ja klar, sage ich, aber die braucht’s ja auch nicht, wenn da alles grün ist. Nein, sagt auch Jürgen Wissmann, sein Job ist in der Stadt, da werde er gar nicht erst mit dem Pendeln anfangen. Er züchte ja auch keine Hühner, um Eier essen zu können. Viele hier kämen vom Land, da sei es doch logisch, dass die für ihre Kinder ein Stück Natur haben wollten, oder?
    Ach, diese Wissmanns! Ökonudeln, Kinderkrieger, Landeier, Großstädter – alles in einem. Als ich wieder draußen vor ihrer Haustür stehe, in der kleinen ruhigen Straße, habe ich das dringende Bedürfnis, auf der Stelle etwas Falsches zu tun. Mich zu betrinken zum Beispiel. Zwanzig Zigaretten hintereinander zu rauchen. Gegen ein Lauflernrad zu treten. Oder einen Doppelwhopper aus Industriefleisch mit genmanipulierten Pommes zu essen. So etwas. Nichts dergleichen tue ich. Ich schiebe mein Rad durch die feuchte warme Nacht, in den Pfützen schwimmen die Lindenblüten. Und bei den Wissmanns schnarchen drei süße Kinder in ihren Betten, einem neuen, gesunden, aufregenden und vollwertigen Junitag entgegen.

A usreise oder
    W ürdelose rote Sneaker im Gepäck

    L aaaangweilig«, seufzt das Kind neben mir in der Eisdiele, als das Biomangoeis ohne Crunchy-Streusel kommt. »Laaaangweilig«, stöhnt die Kundin im Biomarkt beim Anblick von nur drei Sorten Frühkartoffeln. Laaaangweilig, denke ich, weil es beim Barista immer nur die gleichen sechzehn Sorten Kaffee gibt. Schon wieder Galão ordern? Ich bräuchte jetzt echt mal was Neues, denke ich, was Ansprechendes, irgendwas, was mich kickt und aus meinem ganz und gar durchgestylten Metropolenalltag heraushebelt.
    Nach drei Monaten Muttibezirk bin ich betriebsblind geworden. Korrumpiert und gebauchpinselt von all den Annehmlichkeiten, die das Großstadtleben auf Ökoniveau bereithält. Gesättigt vom Anblick schöner, gesunder Menschen, ihrer Kinderwagen und Fahrradanhänger, in denen wiederum schöne gesunde Menschen im Kleinformat thronen. Jeden Tag esse ich Biobrot mit Biopesto drauf. Meinen Bioespresso werte ich mit Biomilch auf, und wenn ich Lust auf was Süßes habe, gönne ich mir ein bisschen fair gehandeltes Schoki oder kaufe mir einen Biobrownie. Damit setze ich mich dann auf die Spielplatzbank, lese taz und Süddeutsche und freue mich an dem entspannten Weben und Leben in der größten Kleinstadt Deutschlands. Ist doch super.
    Ja, der Prenzlauer Berg macht es mir leicht, mich zu vergessen. Also jene Person, die zurückgekommen ist, um mal zu gucken, was hier so nervt. Mich, die aus der Provinz eingereist ist und sich ganz sicher war, hier von entfremdeten, verwöhnten Hedonisten und ihren Spitzenkindern gestört zu werden. Stattdessen erlebe ich nette Menschen, die gerne hier wohnen. Erst habe ich noch gelächelt über die stolze Kriegerinnenhaltung der Buggyfrauen. Mir ist die Kinnlade runtergefallen beim Anblick von 30-Euro-Biobaumwolle-Stramplern, Babyyoga-Studios und Mütteraufläufen im öffentlichen Raum. Ich habe mit Sibylle lästernd auf dem Spielplatzmäuerchen gesessen und mich amüsiert über die Premiumeltern. Ich fand sie anmaßend, ihre Hippness und Humorfreiheit provozierend. Und nun? Find ich das alles normal, nur etwas langweilig eben.
    Kein Wunder, dass viele der Leute, die ich hier in den letzten Monaten kennengelernt habe, nicht wissen, was ich überhaupt meine, wenn ich von Macchiatomüttern oder Bionade-Biedermeier spreche. »Meinst du mich?«, fragen sie, »ach, das sind doch alles blöde Klischees.« Ja, so würde ich auch denken, wenn ich Tag für Tag hier leben würde. Das merke ich jetzt. Alles, was mich zu Beginn erfreut oder aufgeregt hat, wird verdammt schnell zur Normalität. Alles, was hier laut der neuen sozialen Ordnung eigentlich nicht
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