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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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deuten und denken, die Welt gehört nur ihnen. Eine gute Tat – was ist das? Ich übe das mit ihnen ein. Sie tun dann jemandem einfach mal einen Gefallen, sie sagen etwas Freundliches oder legen der Mama abends einen lieben Zettel auf den Teller. Einfache Dinge, mit denen sie anderen eine Freude machen und aus denen sie auch selber ein gutes Gefühl schöpfen können.
    Toll ist an den neuen Zeiten im Prenzlauer Berg, dass die allermeisten Familien keine Geldprobleme kennen. Wenn ich einen Ausflug nach Brandenburg plane, kostet das mit der Fahrkarte 10, 15 Euro. Die Klassenfahrt nach Mecklenburg hat 120 Euro gekostet. Oder neulich habe ich die Eltern gefragt, ob ich von einem Lesebuch, das nicht im Rahmenplan vorgesehen ist, einen Klassensatz bestellen kann, Kostenpunkt 8 Euro pro Kind. Das war alles kein Problem, Geld ist da, und wer einen Zuschuss für die Klassenreise braucht, beantragt das beim Amt, und im Nu ist es auf dem Konto.
    Immer schwieriger wird es aber, in den Kindern die Lust auf Abenteuer zu wecken. Womit kann man jemanden noch verzaubern, der schon alles hat? Jemanden, der alles kriegt und schon so irre viel in seinem kurzen Leben gesehen und erlebt hat? Die Kinder haben ja einen riesigen Freizeitstress, nach der Schule ist bei denen längst nicht Schluss, sie gehen zum Sport, Tanzen, Sprachunterricht, praktisch jedes Kind in meiner Klasse lernt ein Instrument. Und wenn ich dann komme und sage, wir gehen ins Museum – stöhnen sie natürlich: Och nee, muss das sein? Es sind satte Kinder, denen es an Anstrengungsbereitschaft fehlt, viele sind lustlos und meckern rum. Das stört mich offen gesagt.
    Mit meiner Klasse, das war toll, wie gesagt. Aber ich will auch noch mal was Neues anfangen, mit Kindern, die neugierig sind und die ich noch mitreißen kann. Um mich herum sind viele Freunde krank geworden in den letzten Jahren, einige sind an Krebs gestorben. Ich höre die Uhr ticken. Und ich möchte, dass meine jetzt mal ein bisschen langsamer geht, ich will mehr Lebensqualität. Hip sein, in sein – Dinge, die hier in der Ecke sehr wichtig sind, das ist mir zunehmend egal geworden. Ich will jetzt die guten Jahre mit Kutte.
    Die Lehrerin sagt, sie muss nach Hause. Auf ihrem Schreibtisch warten die Zeugnisse. Zwei Tage später telefonieren wir. Sie ist krankgeschrieben, vom vielen Schreiben hat sie eine Sehnenscheidenentzündung bekommen. Jetzt erledigt sie das portionsweise: vormittags zwei Stunden, nachmittags zwei. In drei Wochen beginnen die Ferien. Das schafft sie noch.

D iese Wissmanns oder
    S chönstes Westfalen jenseits Westfalens

    D ie Wissmanns räumen auf. Jetzt, abends um neun, schlafen ihre drei Kinder nebenan in ihren kleinen Betten, sie schnorcheln einem neuen Junitag entgegen. Vor den Fenstern der Altbauwohnung ist gerade ein sensationelles Frühlingsgewitter heruntergekommen, die Luft riecht feucht und schwer nach fortgespülten Lindenblüten. In der Wohnküche der Wissmanns ist der lange Tisch noch übersät mit allem, was so ein Familientag an Spuren hinterlässt: Müslikleckse, leere Breigläschen, halb ausgetrunkene Plastikbecher. Dazwischen braun werdende Apfelschnitze und ein bunt gestreiftes Lätzchen.
    Die Wissmanns räumen nun zügig alles an seinen Platz, Hand in Hand geht das. Anschließend holen sie eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank und schenken dem Gast ein. Dazu gibt’s Wasser aus einer Karaffe, an deren Boden energetische Kieselsteine liegen. An der Küchenwand hängen Kinderbilder, in einem Setzkasten warten zwei Dutzend homöopathische Medikamente auf den Ernstfall. Susanne Wissmann sagt: »Ich bin eine Ökonudel.« Siebenunddreißig Jahre wird sie morgen alt, ihr Mann Jürgen ist dreiundvierzig. Die beiden, er Lehrer, sie Lateinamerikawissenschaftlerin und gerade zu Hause mit dem dritten Kind, sind ein Ost-West-Paar im Prenzlauer Berg. Geradezu archetypisch stehen sie für die sympathisch anmutende Sorte jener Familien, die im Bötzowviertel wohnen, weil das Leben hier schlicht perfekt für sie ist. Mit ihren zwei Söhnen und der Tochter bilden sie den guten Durchschnitt, das, was üblich ist: Vater, Mutter, Kind, Kind, Kind. Mehr Nachwuchs als anderswo im Lande üblich, gewiss, aber hier, im schönen und von Touristen noch nicht so heimgesuchten Viertel des Prenzlauer Bergs fallen die Wissmanns damit nicht weiter auf.
    Susanne Wissmann erzählt, wie sie das dörfliche Leben hier im Kiez zu schätzen weiß. Die sechsjährige Raja schickt sie morgens allein
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