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Langoliers

Titel: Langoliers
Autoren: Stephen King
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Hand am Ellbogen des Mädchens. Die Frau murmelte mit ihrer Begleitung, das Mädchen sah sofort in die Richtung, aus der ihre Stimme ertönte, und Brian wurde klar, dass es blind war – es lag an der Bewegung des Kopfes. Komisch, dachte er, wie so kleine Gesten soviel verraten können.
    Anne, dachte er. Solltest du nicht an Anne denken?
    Aber sein übermüdeter Verstand versuchte, das Thema Anne zu vermeiden – Anne, die seine Frau gewesen war, Anne, die einzige Frau, die er je im Zorn geschlagen hatte, Anne, die jetzt tot war.
    Er schätzte, dass er eine Vortragsreise antreten könnte; er würde vor Gruppen geschiedener Männer sprechen. Verdammt, auch vor geschiedenen Frauen, was das anbetraf. Sein Thema wäre Scheidung und die Kunst des Vergessens.
    Kurz nach dem vierten Hochzeitstag ist der beste Zeitpunkt für eine Scheidung, würde er ihnen sagen. Nehmen Sie nur meinen Fall. Ich habe das darauf folgende Jahr im Fegefeuer verbracht und mich gefragt, was meine Schuld war und was ihre, ob es falsch oder richtig war, ihr immer wieder mit dem Thema Kinder zuzusetzen – das war die große Sache zwischen uns, nichts Dramatisches wie Drogen oder Ehebruch, nur das alte Thema: Kinder oder Karriere –, und dann war es, als wäre ein Expreßlift in meinem Kopf gewesen, und Anne war nicht darin, und er raste abwärts.
    Ja. Abwärts war er gefahren. Und in den letzten sechs Monaten hatte er überhaupt nicht an Anne gedacht … nicht einmal wenn der monatliche Unterhaltsscheck fällig war. Es war eine sehr vernünftige, sehr zivilisierte Summe, besonders wenn man bedachte, dass Anne achtzigtausend brutto im Jahr gemacht hatte. Sein Anwalt überwies das Geld, und es war lediglich ein weiterer Punkt auf der monatlichen Abrechnung, die Brian bekam, ein kleiner Zweitausend-Dollar-Posten zwischen der Stromrechnung und der Hypothekenrate für die Eigentumswohnung.
    Er beobachtete einen schlaksigen Teenagerjungen mit Geigenkasten unter dem Arm und Yamulke auf dem Kopf, der den Mittelgang entlang schritt. Der Junge sah nervös und aufgeregt zugleich aus, eine ängstliche, aufregende Zukunft spiegelte sich in seinen Augen. Brian beneidete ihn.
    Im letzten Jahr ihrer Ehe hatte eine große Verbitterung zwischen ihnen beiden geherrscht, und schließlich, etwa vier Monate vor der Trennung, war es passiert: Seine Hand hatte zugeschlagen, bevor sein Gehirn nein sagen konnte. Er erinnerte sich nicht gerne daran, aber er hatte es getan. Sie hatte während einer Party zuviel getrunken und ihm echt übel zugesetzt, als sie wieder zu Hause waren.
    Lass mich in Ruhe damit, Brian. Lass mich einfach in Ruhe. Nichts mehr über Kinder. Wenn du einen Sperma-Test brauchst, geh zum Arzt. Meine Aufgabe ist Werbung, nicht Kindermachen. Ich habe deine Macho-Scheiße derartig sa …
    Und da hatte er sie fest auf den Mund geschlagen. Der Schlag hatte das letzte Wort mit brutaler Heftigkeit abgeschnitten. Sie standen da und sahen einander in der Wohnung an, in der sie später sterben sollte, und waren beide erschrockener und ängstlicher gewesen, als sie je zugeben würden (außer vielleicht jetzt, auf Sitz 5A, während er zusah, wie die anderen Passagiere von Flug Nr. 29 an Bord kamen; jetzt gab er es zu, jetzt gestand er es sich endlich selbst ein). Sie hatte ihren Mund berührt, der zu bluten angefangen hatte. Sie hatte ihm die Finger entgegengestreckt.
    Du hast mich geschlagen, sagte sie. Es war kein Zorn in ihrer Stimme, sondern Erstaunen. Er hatte den Verdacht, es war überhaupt das erste Mal, dass jemand im Zorn Hand an einen Teil von Anne Quinlan Engles Körper gelegt hatte.
    Ja, hatte er gesagt. Wahrhaftig. Und ich mache es wieder, wenn du nicht die Klappe hältst. Mich wirst du nicht mehr mit deinen Worten geißeln, Süße. Du solltest dir besser ein Vorhängeschloss an den Mund machen. Ich sage dir das, weil ich es gut mit dir meine. Die Zeiten sind vorbei. Wenn du etwas brauchst, das du treten kannst, kauf dir einen Hund.
    Damit war auch die Ehe vorbei gewesen. Sie hatte sich noch ein paar Monate mühsam dahingeschleppt, aber eigentlich war sie in dem Augenblick zu Ende gewesen, als Brians Handfläche schmerzhaften Kontakt zu Annes Mundwinkeln hergestellt hatte. Er war provoziert worden – weiß Gott, er war provoziert worden –, aber er hätte trotzdem viel gegeben, hätte er diesen einen schlimmen Augenblick ungeschehen machen können.
    Während die letzten Passagiere an Bord tröpfelten, musste er auch fast besessen an Annes Parfüm
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