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Langoliers

Titel: Langoliers
Autoren: Stephen King
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Handtasche.
    Dinahs Unbehagen kehrte zurück, dieses Mal doppelt und dreifach. Die Kopfhörer lagen nicht auf Tante Vickys Sitz, aber ihre Handtasche. Sämtliche Travellerschecks, abgesehen von einem Zwanziger, der tief in Dinahs eigener Handtasche vergraben war, befanden sich darin – das wusste Dinah, weil sie gehört hatte, wie sich Mom und Tante Vicky darüber unterhalten hatten, bevor sie das Haus in Pasadena verließen.
    Würde Tante Vicky auf die Toilette gehen und die Handtasche auf dem Sitz liegenlassen? Würde sie das machen, wo ihre Reisebegleitung nicht nur zehn war, nicht nur schlief, sondern obendrein Dinah konnte es nicht glauben.
    Gib deine Angst nicht auf … aber ergib dich ihr auch nicht. Sitz still und versuch, ihr mit Vernunft beizukommen.
    Aber der leere Sitz gefiel ihr nicht, ebenso wenig wie die Stille im Flugzeug. Es kam ihr vollkommen logisch vor, dass die meisten Leute schliefen und die Wachen versuchten, aus Rücksicht auf die anderen so leise wie möglich zu sein, aber es gefiel ihr trotzdem nicht. Ein Tier, eines mit außerordentlich scharfen Zähne und Krallen, wachte auf und fing in ihrem Kopf an zu fauchen. Sie kannte den Namen dieses Tieres; er war Panik, und wenn sie diese nicht rasch unter Kontrolle bekam, machte sie vielleicht etwas, das sie selbst und auch Tante Vicky in Verlegenheit brachte.
    Wenn ich sehen kann, wenn die Ärzte in Boston meine Augen operiert haben, muss ich nicht mehr solche Dummheiten mitmachen.
    Das war zweifellos richtig, aber es war ihr jetzt überhaupt keine Hilfe.
    Plötzlich fiel Dinah ein, als sie sich gesetzt hatten, hatte Tante Vicky ihre Hand genommen, alle Finger außer dem Zeigefinger gefaltet und diesen einen Finger dann zur Seite des Sitzes geführt. Dort waren die Kontrollen – nur ein paar, leicht und einfach zu merken. Da waren zwei kleine Räder für die Kopfhörer – eines wählte die verschiedenen Kanäle, das andere stellte die Lautstärke ein. Der kleine rechteckige Schalter war für das Licht über ihrem Sitz. Den brauchst du nicht, hatte Tante Vicky mit einem Lächeln in der Stimme gesagt. Jedenfalls noch nicht. Der letzte war ein quadratischer Knopf – wenn man den drückte, kam die Stewardess.
    Jetzt berührten Dinahs Finger diesen Knopf und strichen behutsam über die leicht konvexe Oberfläche.
    Will ich das wirklich? fragte sie sich und bekam unverzüglich Antwort: Ja, ich will.
    Sie drückte den Knopf und hörte ein leises Klingeln. Dann wartete sie.
    Niemand kam.
    Nur das leise, scheinbar ewige Flüstern des Antriebs war zu hören. Niemand sagte etwas. Niemand lachte. (Der Film ist wohl doch nicht so komisch, wie Tante Vicky gemeint hat, dachte Dinah.) Niemand hustete. Der Sitz neben ihr, der Sitz von Tante Vicky, war immer noch leer, und keine Stewardess mit einem beruhigenden Geruch nach Parfüm, Shampoo und Make-up beugte sich über sie und fragte Dinah, ob sie ihr etwas bringen konnte – einen Snack oder vielleicht ein Glas Wasser.
    Nur das konstante, leise Dröhnen der Turbinen.
    Das Paniktier tobte lauter denn je. Um dagegen anzukämpfen, konzentrierte sich Dinah auf ihre Radar-Einrichtung und versuchte, eine unsichtbare Sonde daraus zu machen, mit der sie von ihrem Sitz in der Mitte der Kabine aus vortasten konnte. Darin war sie gut; manchmal, wenn sie sich besonders konzentrierte, glaubte sie fast, durch die Augen von anderen sehen zu können. Wenn sie ausreichend angestrengt daran dachte, es ausreichend angestrengt wollte. Einmal hatte sie Miss Lee von diesem Gefühl erzählt, und Miss Lees Antwort war ungewöhnlich schneidend ausgefallen. Mit den Augen anderer zu sehen, ist ein gelegentliches Hirngespinst von Blinden, hatte sie gesagt.
    Besonders von blinden Kindern. Mach nie den Fehler, dich auf dieses Gefühl zu verlassen, sonst wirst du eines Tages eine Treppe herunterfallen oder vor ein Auto treten.
    Also hatte sie die Versuche aufgegeben, ›mit den Augen anderer zu sehen‹, und die paar Mal, wenn sich das Gefühl wieder über sie schlich – dass sie die Welt sah, schemenhaft und wabernd durch die Augen ihrer Mutter oder die von Tante Vicky –, hatte sie versucht, es loszuwerden … wie ein Mensch, der Angst hat, den Verstand zu verlieren, das Murmeln von Geisterstimmen verdrängen will. Aber jetzt hatte sie Angst, und deshalb tastete sie nach anderen, fühlte nach anderen und fand sie nicht.
    Das Entsetzen in ihr war jetzt ziemlich groß, das Paniktier heulte lauter denn je. Sie spürte, wie ihr das Weinen
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