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Langoliers

Titel: Langoliers
Autoren: Stephen King
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im Hals hochstieg, und biss die Zähne zusammen. Denn es würde nicht als Weinen oder Schluchzen herauskommen; wenn sie es herausließ, würde es wie der Schrei einer Feuersirene aus ihrem Mund kommen.
    Ich werde nicht schreien, sagte sie sich nachdrücklich. Ich werde nicht schreien und Tante Vicky in Verlegenheit bringen. Ich werde nicht schreien und alle aufwecken, die schlafen, und alle erschrecken, die wach sind, so dass alle gelaufen kommen und sagen, seht euch nur das ängstliche kleine Mädchen an, seht euch nur das ängstliche kleine blinde Mädchen an.
    Aber jetzt verstärkte dieser Radar-Sinn – der Teil in ihr, der alle möglichen vagen Sinneswahrnehmungen aufgriff und manchmal tatsächlich durch die Augen von anderen zu sehen schien (einerlei, was Miss Lee sagte) – ihre Angst noch, statt sie zu zerstreuen.
    Denn dieser Sinn verriet ihr, dass sich niemand im Kreis seiner Reichweite aufhielt.
    Überhaupt niemand.
     
4
     
    Brian Engle hatte einen schlimmen Alptraum. Darin war er wieder Pilot des Flugs Nr. 7 von Tokio nach L.A., aber dieses Mal war das Leck viel schlimmer. Im Cockpit herrschte greifbare Untergangsstimmung; Steve Searles, der Navigator, weinte, während er eine dänische Gebäckrolle aß.
    Wenn du so beunruhigt bist, wie kannst du dann essen? fragte Brian. Ein schrilles Teekesselpfeifen erfüllte das Cockpit – das Geräusch des Lecks, das den Druckabfall verursachte, vermutete er. Das war selbstverständlich albern; Lecks waren fast immer lautlos, bis der Zusammenbruch erfolgte, aber er schätzte, dass in Träumen alles möglich war.
    Weil ich diese Dinger heiß und innig liebe und nie wieder eins essen werde, sagte Steve und schluchzte mehr denn je.
    Dann hörte das schrille Pfeifen unvermittelt auf. Eine lächelnde, erleichterte Stewardess – es handelte sich tatsächlich um Melanie Trevor – kam zu ihm und berichtete, dass das Leck gefunden und abgedichtet worden war. Brian stand auf und folgte ihr durch das Flugzeug zur Hauptkabine, wo Anne Quinlan Engle, seine Exfrau, in einem kleinen Alkoven stand, in dem die Sitze entfernt worden waren. Auf das Fenster neben ihr war der rätselhafte und irgendwie geheimnisvolle Satz NUR FÜR STERNSCHNUPPEN geschrieben. Er war in Rot geschrieben, der Farbe der Gefahr.
    Anne trug die dunkelgrüne Uniform einer Stewardess von American Pride, was seltsam war sie war Werbegrafikerin und hatte eine Agentur in Boston, und sie hatte die Stewardessen, mit denen ihr Mann flog, stets mit einer gerümpften, schmalen Aristokratennase betrachtet. Sie hatte die Hand auf einen Riss in der Hülle gedrückt.
    Siehst du, Liebling? sagte sie stolz. E s ist für alles gesorgt. Es macht nicht einmal etwas, dass du mich geschlagen hast. Ich habe dir verziehen.
    Mach das nicht, Anne! schrie er, aber es war bereits zu spät. Eine Falte tauchte in ihrem Handrücken auf, die die Form des Risses in der Hülle nachahmte. Sie wurde tiefer, als der Druckunterschied ihre Hand unbarmherzig nach draußen zog. Ihr Mittelfinger verschwand als erster, dann der Ringfinger, schließlich der Zeigefinger und zuletzt der kleine. Es folgte ein leises Plop, wie von einem Champagnerkorken, den ein übereifriger Kellner zieht, und ihre ganze Hand wurde durch den Riss im Flugzeug gezogen.
    Dennoch lächelte Anne weiter.
    Es ist L’Envoi, Liebling, sagte sie, während ihr Arm zu verschwinden anfing. Ihr Haar löste sich aus der Spange, die es nach hinten hielt, und wehte wie eine nebulöse Wolke um ihren Kopf.
    Das habe ich immer aufgelegt, erinnerst du dich nicht mehr?
    Doch … jetzt schon. Aber jetzt spielte es keine Rolle mehr.
    Anne, komm zurück! schrie er.
    Sie lächelte weiter, während ihr Arm langsam in die Leere außerhalb des Flugzeugs gesogen wurde. Es tut überhaupt nicht weh, Brian – glaub mir.
    Der Ärmel ihres grünen American-Pride-Blazers fing an zu flattern, und Brian sah, dass ihr Fleisch als dickliche weiße Gallerte durch den Riss hinausgezogen wurde. Es sah aus wie Holzleim.
    L’Envoi, erinnerst du dich? fragte Anne, während sie durch den Riss gesogen wurde, und jetzt konnte Brian es wieder hören – das Geräusch, das der Dichter James Dickey einmal das unermessliche Bestienheulen des Raumes genannt hatte. Es wurde unablässig lauter, während der Traum dunkler wurde, und gleichzeitig wurde es deutlicher. Es war nicht der Schrei des Windes, sondern der einer menschlichen Stimme.
    Brian riss die Augen auf. Die Macht des Traums machte ihn einen Moment
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