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Langoliers

Titel: Langoliers
Autoren: Stephen King
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seine Bitte hin, aber das war ein offizieller Anlass gewesen, und Amy hatte nicht persönlich mit ihm sprechen wollen. Nicht da. Sie war dankbar, dass er ihr das Leben gerettet hatte … aber Mort war ihr Mann gewesen, den sie viele Jahre lang geliebt hatte, und in ihrem Herzen spürte sie, dass Fred Evans’ Finger nicht der einzige war, der den Abzug gedrückt hatte.
    Sie wäre irgendwann sowieso zu ihm gegangen, dachte sie, um die Sache gedanklich, so gut es ging, auf die Reihe zu bekommen. Sie wäre vielleicht in einem Jahr gekommen, in zwei, möglicherweise drei. Aber in der Zwischenzeit waren Dinge passiert, die sie zu größerer Eile bewegten. Sie hatte gehofft, Ted würde sie allein nach New York fahren lassen, aber Ted war besorgt. Nach dem letzten Mal, als er sie allein hatte fahren lassen. Damals war sie beinahe ermordet worden.
    Amy legte ihm in aller Deutlichkeit dar, dass es ihm schwer gefallen sein würde, sie ›fahren zu lassen‹, da sie ihm ja gar nicht gesagt hatte, dass sie fahren wollte, aber Ted zuckte nur die Achseln. Daher fuhren sie gemeinsam nach New York, fuhren gemeinsam mit dem Fahrstuhl in den dreiundfünfzigsten Stock des Wolkenkratzers und wurden gemeinsam in das kleine Kabuff in der Büroetage der Consolidated Versicherungsgesellschaft geführt, das Fred Evans während der Arbeitszeit sein Zuhause nannte … wenn er nicht gerade vor Ort ermittelte.
    Sie setzte sich, soweit es ging, in die Ecke, und obwohl es in dem Büro ziemlich warm war, nahm sie den Schal nicht ab.
    Evans’ Verhalten war langsam und freundlich – er kam ihr fast wie der Landarzt vor, der sie über ihre Kinderkrankheiten hinweggebracht hatte –, und sie mochte ihn. Aber das wird er nie erfahren, dachte sie. Ich würde vielleicht die Kraft aufbringen, es ihm zu sagen, und er würde nicken, aber dieses Nicken würde keine Überzeugung ausdrücken. Er weiß nur, für mich wird er immer der Mann sein, der Mort erschossen hat, und er musste zusehen, wie ich auf Morts Brust geweint habe, bis der Krankenwagen da war, und einer der Notärzte musste mir eine Spritze geben, damit ich ihn losgelassen habe. Was er nicht wissen wird ist, dass ich ihn trotzdem mag.
    Er läutete nach einer Frau aus dem Vorzimmer und ließ sie drei große, dampfende Tassen Tee bringen. Draußen war jetzt Januar, der Wind wehte, die Temperatur war niedrig. Sie dachte, von kurzem Sehnen erfüllt, wie es jetzt in Tashmore sein würde; der See war zugefroren, der mörderische Wind trieb geisterhafte Schlangen aus Pulverschnee über das Eis. Dann bildete ihr Verstand eine garstige Assoziation, und sie sah, wie Mort zu Boden fiel, wie die Packung Pall Mall über den Boden schlitterte wie ein Eisstock. Sie erschauerte, und das vorübergehende Sehnen war völlig dahin.
    »Alles in Ordnung, Mrs. Milner?« fragte Evans.
    Sie nickte.
    Ted runzelte gemächlich die Stirn, spielte mit seiner Pfeife und sagte: »Meine Frau möchte alles erfahren, was Sie über die Vorfälle wissen, Mr. Evans. Ich habe zuerst versucht, ihr das auszureden, aber ich bin zur Überzeugung gekommen, dass es doch ganz gut sein könnte. Sie hat seither Alpträume …«
    »Gewiss«, sagte Evans, der Ted nicht gerade ignorierte, aber direkt zu Amy sprach. »Ich könnte mir denken, dass das noch eine ganze Weile so bleiben wird. Ich selbst hatte nebenbei auch welche. Ich habe noch nie einen Menschen erschossen.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Ich habe Vietnam um etwa ein Jahr oder so verpasst.«
    Amy schenkte ihm ein Lächeln. Es war verhalten, aber ein Lächeln.
    »Sie hat alles bei der Verhandlung gehört«, fuhr Ted fort, »aber sie will es noch einmal hören, von Ihnen und ohne das juristische Drumherum.«
    »Ich verstehe«, sagte Evans. Er deutete auf die Pfeife. »Sie können sie anzünden, wenn Sie wollen.«
    Ted sah sie an, dann ließ er sie rasch in die Manteltasche gleiten, als würde er sich etwas schämen. »Eigentlich will ich es aufgeben.«
    Evans sah Amy an. »Was meinen Sie, hat das für einen Sinn?« fragte er mit derselben freundlichen, milden Stimme. »Oder eine bessere Frage wäre vielleicht, welchen Sinn muss es für Sie haben?«
    »Ich weiß nicht.« Ihre Stimme war leise und gefasst. »Aber wir waren vor drei Wochen in Tashmore, Ted und ich, um das Haus sauberzumachen – wir haben es zum Verkauf angeboten –, und da ist etwas passiert. Eigentlich zweierlei.« Sie sah ihren Mann an und brachte wieder dieses verhaltene Lächeln zustande. »Ted weiß, dass
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