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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: U Krechel
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bei den Bauern, Musik hören. Wollen wir tanzen?, fragte sie ihn manchmal, aber er winkte ab. Tanzen könne er nicht. Das lernst du, wenn du nur willst, ermunterte sie ihn. Und legte ihm die Hände auf die Schultern, hör zu, mahnte sie ihn und lächelte ihr gewinnendstes Lächeln, leg deine Arme um mich. Dann schaukelte und stampfte sie mit ihm los, trällerte die Melodie vom Plattenspieler mit, ließ sich sein Stolpern und Einknicken klaglos gefallen. Siehst du, sagte sie, geht doch. Und wenn die Platte abgespielt war, prustete sie vor Lachen, und ihr jugendlicher Tanzpartner reckte sich ein bißchen, als hätte die gemeinsame Unternehmung mit der großstädtischen Mieterin ihn weltläufiger und erwachsener gemacht, ein bißchen jedenfalls. Machen wir wieder, sagte Claire und schob den Jungen dann, ehe er sich auf ihrer Bettkante festsetzte, um noch eine Platte zu hören, aus dem Zimmer hinaus. Zu ihrem Mann sagte sie: Es macht dem Kleinen so viel Spaß. Ihr eigener Spaß war ihr an der Nasenspitze anzusehen. Und Pfempfles im unteren Geschoß wisperten manchmal: Daß Frau Kornitzer bei allem, was sie durchgemacht hat, ihren guten Humor nicht verliert.

Auf dünnem Eis
    Richard Kornitzer war gekommen mit einem Ausweis der Vereinten Nationen,
aus welchem sich seine Eigenschaft als bona-fide Displaced Person und seine Zulassung zum Aufenthalt in der französischen Zone durch telegraphische Anweisung des Kontrollrates für Deutschland (Combined Travel Board) vom 7. August 1947 ergeben hatte
. Er hatte außerdem eine Identitätskarte im ruppigen amerikanischen Spanisch der Hilfsorganisation:
Refugiados Hebreos Habana
. So war er angekommen im Nachkriegsdeutschland, er wußte, warum, er wollte ankommen, es zog ihn hin, das war eine eigenwillige und gleichzeitig passive Entscheidung, von welcher Seite man es betrachtete. (An der seine Frau den allergrößten Anteil hatte.) Ohne ihre energische Vorarbeit wäre er niemals angekommen oder erst Jahre später. Sie hatte ihn angefordert, sie wollte ihn wiederhaben, „ihren Mann“. Und in ihrer Vorentscheidung, in der seine Entscheidung neblig und vage (vielleicht auch beschämend) aufgehoben war, war ein Glück.
    Aber Kornitzer kam als Mister Nobody (
un don nadie
) aus Nowhere (
en ningún lugar
). Die Sprache der Hilfsorganisation war Englisch, die UNRAA und später die IRO waren seine Paten, Patentanten, und sie ackerten ja auch, ihn und unzählige andere
Displaced Persons
an den Ort zu bringen, an dem sie erwünscht waren, an dem sie vielleicht Reste, Überreste ihrer verlassenen Familie finden würden oder eine
tabula rasa
, die weit entfernt war von den Kratern der Unmenschlichkeit. Die Sprache, die er viele Jahre zu benutzen gelernt hatte mit einigem Geschick, das Hochspanische mit einem Tasten nach dem weichen kubanischen Spanisch, hatte in Versunkenheit zu fallen. Er hatte sich lange Zeit gerne des Spanischen bedient, und er glaubte es einigermaßen ordentlich zu können, was ihm ehrerbietig bezeugt worden war. Die Sprache der Besatzungsmacht in diesem westlichsten Teil Deutschlands war Französisch, die Sprache des Landratsamtes, das für ihn zuständig war, war kernig, solide, Deutsch. Das Mündliche war Alemannisch, was Kornitzer auf Anhieb nicht gut verstand, und er wunderte sich auch, daß kaum einer seiner ersten Gesprächspartner Hochdeutsch sprach. Er ahnte, daß es ein trotzig fortgeführtes Sprechen war, eine Tonart, in die er sich einhören mußte. Also schrieb er lieber als daß er mündlich verhandelte. Und man antwortete auf die Briefe seiner Frau und auch auf seine, es waren Briefe verschiedener Kategorien. Auch das war nicht übel, sah auf dem weißen Papier aus wie die Spur eines Eisläufers auf der planen Fläche, eine feine Ritzung, man mußte genau schauen, wer sie hinterlassen hatte, mit welchem Kraftakt, die Geschicklichkeit, die Geschwindigkeit, all diese Energien waren meßbar, wägbar, anschaubar, wenn man es wollte. Es kam ihm der Gedanke, seine Erfahrung auf die gefrorenen Buchten des Bodensees zu übertragen, einen Ritt über den Bodensee, weil ihm alles, was er erlebt hatte, nun mit der Rückkehr so flüchtig erschien. Seine Emigration, die die Deutschen als Auswanderung bezeichneten: Betreten der Eisfläche auf eigene Gefahr. Manchmal lagen Leitern im Gelände, auf Bäume gestützt. Er war gewohnt, er hatte sich daran gewöhnen müssen, daß sein Leben gefährlich war. Zehn Jahre im Nirgendwo, in der Unsicherheit (niemand wollte den
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