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Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
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Wolf, mit hellblondem Haar und noch helleren Augen. Und er sah wahnsinnig gut aus. Dieses Detail schien der Traum unterschlagen zu haben. »Du bist im Mädchenklo.«
    »Ich habe dich hier drin gehört.«
    »Und du stehst so vor der Kabine, dass ich nicht rauskomme.« Das Zittern in meiner Stimme war stärker, als mir lieb war.
    Luke trat beiseite, um mich rauszulassen, und drehte einen Wasserhahn auf, damit ich mir das Gesicht waschen konnte. »Möchtest du dich setzen?«
    »Nein – ja – vielleicht.«
    Er holte einen Klappstuhl aus dem Wandschrank hinter den Kabinen und stellte ihn neben mich. »Du bist leichenblass. Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«
    Ich ließ mich auf den Klappstuhl sinken. »Wenn ich – äh – damit fertig bin, kippe ich manchmal um.« Ich lächelte schwach, und in meinen Ohren begann es zu dröhnen. »Einer meiner – hm – besonderen Reize.«
    »Lass den Kopf zwischen den Knien hängen.« Luke kniete sich neben den Stuhl und blickte mir ins Gesicht. »Du hast echt schöne Augen, weißt du das eigentlich?«
    Ich antwortete ihm nicht. Gleich würde ich vor einem Wildfremden ohnmächtig auf den Toilettenboden kippen. Luke schob die Hand an meinen Armen und Beinen vorbei und presste mir ein nasses Papierhandtuch auf die Stirn, worauf das Rauschen in meinen Ohren schlagartig aufhörte.
    »Danke«, murmelte ich, ehe ich mich langsam aufrichtete.
    Luke hockte immer noch vor mir. »Bist du krank?« Er schien sich nicht sonderlich darum zu sorgen, dass es etwas Ansteckendes sein könnte, aber ich schüttelte energisch den Kopf.
    »Nur die Nerven. Vor Auftritten muss ich mich immer übergeben. Ich weiß, dass das albern ist – aber ich kann nichts dagegen tun. Wenigstens werde ich mich jetzt nicht auf der Bühne übergeben müssen. In Ohnmacht fallen könnte ich trotzdem noch.«
    »Wie viktorianisch«, bemerkte Luke. »Aber war’s das jetzt erst mal mit der Ohnmacht? Willst du lieber hierbleiben, oder sollen wir rausgehen?«
    Ich stand auf. Ich kippte nicht wieder um, also war es wohl besser. »Nein, es geht schon wieder. Ich – äh – ich muss mich jetzt unbedingt einspielen. Soweit ich weiß, bin ich in einer Dreiviertelstunde dran oder so. Keine Ahnung, wie viel Zeit ich hier verplempert habe.« Ich deutete auf die Toilettenkabine.
    »Tja, dann sollten wir wohl gehen, damit du üben kannst. Sie werden dir schon sagen, wann du an der Reihe bist, außerdem ist es draußen ruhiger.«
    Jeden anderen Jungen an dieser Schule hätte ich spätestens jetzt stehenlassen. Ich glaube, das war die längste Unterhaltung mit irgendjemandem außer James und meiner Familie in den letzten zwei Jahren – die Kotzerei nicht einmal als Teil des Gesprächs mitgezählt.
    Luke schulterte meine Harfentasche. »Ich trage sie für dich, da du ja so viktorianisch-schwächlich bist. Könntest du das hier nehmen?« Er hielt mir ein wunderschön geschnitztes Holzkästchen hin, das sehr schwer für seine Größe war. Es gefiel mir – es versprach verborgene Geheimnisse.
    »Was ist da drin?« Sobald die Worte über meine Lippen gekommen waren, fiel mir auf, dass es meine erste Frage an ihn war, seit er mir das Haar aus der Stirn gestrichen hatte. Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, irgendetwas an ihm zu hinterfragen – als sei alles, was bisher geschehen war, selbstverständlichund völlig normal, Teil eines ungeschriebenen Drehbuchs, dem wir beide folgten.
    »Eine Flöte.« Luke öffnete die Toilettentür und steuerte auf einen der Hinterausgänge zu.
    »An welchem Wettbewerb nimmst du teil?«
    »Oh, ich bin nicht wegen des Wettbewerbs hier.«
    »Sondern?«
    Luke warf mir über die Schulter hinweg ein gewinnendes Lächeln zu, das den Verdacht in mir weckte, dass er möglicherweise nicht allzu oft so lächelte. »Ich bin gekommen, um dich spielen zu hören.«
    Das stimmte nicht, aber seine Antwort gefiel mir trotzdem. Er führte mich hinaus in die Sonne hinter der Schule und ging auf die Picknickbänke neben dem Fußballfeld zu. Der Name eines Schülers hallte aus dem Lautsprecher über das Gelände, und Luke warf mir einen Blick zu. »Siehst du? Du wirst schon merken, wann du reinmusst.«
    Wir setzten uns, er auf den Picknicktisch und ich mit meiner Harfe auf die Bank. Im gleißenden Sonnenlicht wirkten seine Augen so hell wie Glas.
    »Was wirst du für mich spielen?«
    Mein Magen verkrampfte sich. Er würde mich für absolut erbärmlich halten, zu nervös, um auch nur vor ihm zu spielen. »Äh …«
    Er
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