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Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
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das Vergnügen. Die Hunde umkreisten den Körper im Klee. »Es gibt Arbeit für dich.«

Buch Eins
     
     
     
     
     
    … mein Herz lässt du verglommen
    und verzweifelt zurück, wohin ich mich dreh
    alle Wunder vollkommen hat dein Antlitz mir genommen
    das mich verfolgt, wo ich geh und steh.
    B RIDGIT O’M ALLEY

Eins
     
     
     
     
     
    Du fühlst dich gleich besser, wenn du dich erst übergeben hast«, sagte Mom hinterm Steuer. »Das ist doch immer so.«
    Blinzelnd schreckte ich aus meiner Benommenheit und nahm meine Harfentasche aus dem Kofferraum unseres staubigen Kombis. Mir war schlecht. Und Moms Bemerkung war so ziemlich der einzige Grund, den ich brauchte, um lieber keine Karriere als Profimusikerin ins Auge zu fassen. »Hast du noch mehr aufmunternde Worte für mich, Mom?«
    »Sei nicht so sarkastisch.« Mom hielt mir eine zu meiner Hose passende Strickjacke hin. »Nimm die. Damit siehst du professioneller aus.«
    Ich hätte ablehnen können, aber es war weniger mühsam, die Jacke einfach zu nehmen. Wie Mom bereits angedeutet hatte: Je schneller ich in die Aula kam und mich übergab, desto leichter würde es werden. Und wenn ich diesen Tag erst hinter mir hatte, konnte ich in mein gewohntes Leben zurückkehren,bis sie das nächste Mal beschloss, mich aus meinem Käfig zu holen. Moms Angebot, mir mit der Harfe zu helfen, lehnte ich allerdings ab, obwohl viele andere Schüler mit elterlichem Gefolge zur Aula gingen. Ohne ein bekanntes Gesicht im Publikum war es einfacher, vollkommen bedeutungslos zu sein.
    »Dann suchen wir jetzt einen Parkplatz und kommen nach. Ruf an, wenn du uns brauchst, ja?« Mom tätschelte ihre taubenblaue Handtasche, die zu ihrem tief ausgeschnittenen taubenblauen Top passte. »Delia müsste auch bald da sein.«
    Der Gedanke an meine divenhafte Tante trieb mich noch ein Stück weiter dem Ende meiner Übelkeitsskala entgegen.
Oh, Deirdre
, hörte ich sie bereits im Geiste sagen,
kann ich dir helfen, diese Tonleitern noch einmal durchzugehen? In den oberen Bereichen klingst du recht flach.
Genau in diesem Moment würde ich mich über sie erbrechen … vielleicht war das gar keine schlechte Idee. Aber wie ich Delia kannte, würde sie mich vermutlich auch dabei noch verbessern.
Deirdre, Liebes, du brauchst wirklich einen besseren Speibogen, wenn du jemals professionell reihern willst.
    »Prima«, sagte ich. Meine Eltern winkten, worauf ich mich auf die Suche nach dem Wartebereich für die Wettbewerbsteilnehmer machte. Ich schirmte die Hand mit den Augen ab und ließ den Blick über die Betonfassade der Highschool wandern. Im grellen frühnachmittäglichen Sonnenschein leuchtete ein riesiges Segeltuchbanner mit der Aufschrift
Teilnehmer-Eingang.
Ich hatte inbrünstig gehofft, dass ich die Schule erst im neuen Schuljahr wiedersehen würde, wenn ich in die elfte Klasse kam. Schon klar. Lebet wohl, holde Träume.
    Mann, was für eine Bullenhitze. Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich zur Sonne hoch, ehe mein Blick weiter zum Mond direkt neben der Sonne wanderte. Aus irgendeinem Grund löste dieser geisterhafte Mond am helllichten Tag einseltsames Kribbeln in meiner Magengegend aus, eine andere Art von Nervosität. Am liebsten wäre ich stehen geblieben und hätte hinaufgestarrt, bis mir wieder einfiel, wieso er mich so verzauberte. Aber die Hitze war meinem nervösen Magen nicht zuträglich, also wandte ich mich von der bleichen Scheibe ab und zog meine Harfe zum Teilnehmer-Eingang.
    Als ich durch die schwere Doppeltür trat, fiel mir auf, dass mich das Bedürfnis, mich zu übergeben, erst überkommen hatte, als Mom davon anfing. Ich hatte mir nicht einmal Gedanken wegen des Wettbewerbs gemacht. Na gut, ich hatte auf der ganzen Fahrt garantiert meinen typisch glasigen Blick gehabt, der bedeutete, dass ich mich mit aller Macht darauf konzentrierte, mich nicht zu übergeben, aber nicht aus dem Grund, den meine Mutter vermutete. Ich war mit den Gedanken bei meinem Traum von letzter Nacht gewesen. Aber nachdem sie davon angefangen hatte und mir der Wettbewerb im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen stand, war die Welt wieder in Ordnung und mein Magen eine Katastrophe.
    Eine Frau mit Doppelkinn und Klemmbrett erkundigte sich nach meinem Namen.
    »Deirdre Monaghan.«
    Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an – aber vielleicht war das ihr ganz normaler Gesichtsausdruck. »Jemand hat vorhin nach Ihnen gefragt.«
    Ich hoffte, dass sie James meinte, meinen besten (und einzigen) Freund.
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