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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Erfahrungen in diesem und jenem Leben hat. Das Glück ist keine unabhängige Funktion, sondern eine sekundäre, derivierte – aber das ist ja schon wieder zu hoch für dich, du Trottel! Ja, in meiner Gegenwart spielst du den reuigen Sünder, schwörst Stein und Bein, daß du dich endlich auf den Hosenboden setzen wirst, und was dergleichen Dinge mehr sind. Doch kaum zu Hause angekommen, verspürst du nicht mehr die geringste Lust, die Nase auch nur in eines meiner Bücher zu stecken.« Trurl hatte allen Anlaß, den Scharfblick seines Lehrers zu bewundern, denn dessen Vermutungen kamen der Wahrheit außerordentlich nahe. »Nein, du wirst einfach einen Schraubenzieher nehmen und die Maschine Stück für Stück zerlegen, in der du dich zunächst eingekerkert und dann in höchsteigener Person abgemurkst hast. Natürlich kannst du machen, was du willst, denn ich werde dich nicht in Angst und Schrecken versetzen, indem ich dich etwa als Geist heimsuche, obwohl mich absolut nichts gehindert hätte, vor meinem endgültigen Abschied von diesem Jammertal noch ein entsprechendes Gespenstotron zu bauen. Aber derartige parapsychologische Mätzchen, wie etwa nach erfolgter Automultiplikation bei meinen lieben Schülern als Geist herumzuspuken und sie zu verfolgen, erschienen mir denn doch unter aller Würde – sowohl für sie als auch für mich. Sollte ich vielleicht noch übers Grab hinaus bei euch das Kindermädchen spielen, verfluchte Bande? Übrigens, weißt du eigentlich, daß du nur einmal Selbstmord begangen hast, das heißt an einer einzigen Person?«
    »Wie ist das zu verstehen, Meister, ›an einer einzigen Person‹?« fragte Trurl verwirrt.
    »Ich wette meinen Kopf, daß es in deinem Computer weder eine digitale Universität noch all die Trurls auf ihren Lehrstühlen gegeben hat; du sprachst mit deinem digitalen Ebenbild, das dich nach Strich und Faden belog, weil es fürchtete – und wahrlich nicht zu Unrecht – du würdest ihm, sobald du seine totale Unfähigkeit zur Lösung des Problems entdeckt hättest, für alle Ewigkeit den Strom abschalten …«
    »Aber das ist doch nicht möglich!« rief Trurl verblüfft.
    »Doch, doch. Welche Kapazität hatte der Computer?«
    »Ypsilon 10 10 .«
    »Viel zu klein für mehr als eine digitale Kopie; du hast dich hereinlegen lassen, worin ich im übrigen nichts Schlechtes erblicken kann, denn vom kybernetischen Standpunkt war deine Tat schändlich von Anfang an. Trurl, die Zeit vergeht. Du hast in meiner irdischen Hülle einen üblen Geschmack hinterlassen, von dem mich nur Morpheus düstere Schwester, meine letzte Geliebte, erlösen kann. Du kehrst jetzt nach Haus zurück, erweckst deinen Kyberbruder zum Leben, bekennst ihm die Wahrheit, das heißt, erzählst ihm von unserer mitternächtlichen Friedhofsplauderei und bringst ihn dann aus dem Dunkel des Computers ans Licht der Sonne, und zwar mit Hilfe der Materialisierungsmethode, die du in der Angewandten Rekreationistik meines unvergessenen Lehrers, des Präkybernetikers Tanderadeus, nachlesen kannst.«
    »Dann ist es also möglich?«
    »Ja. Natürlich werden zwei Trurls, die frei auf dieser Welt herumlaufen, eine Gefahr allerersten Ranges darstellen, aber ebenso schlimm wäre es, wenn über dein Verbrechen der Mantel des Vergessens gebreitet würde.«
    »Ja, aber … verzeih, Herr und Meister … diesen anderen Trurl gibt es doch bereits nicht mehr … ich meine, er hat doch in dem Moment aufgehört zu existieren, als ich den Stecker aus der Wand zog, und daher wäre es doch eigentlich völlig überflüssig, das zu tun, wozu du mir jetzt rätst …«
    Diesen Worten folgte ein gellender Aufschrei der Entrüstung: »Bei allen schweren Wassern! Und ich habe diesem Ungeheuer ein Diplom mit Auszeichnung verliehen!! Wahrlich, grausam wurde ich dafür gestraft, daß ich nicht hundert Jahre früher in den ewigen Ruhestand getreten bin! Schon bei deinem Rigorosum kann ich nicht mehr ganz richtig im Kopf gewesen sein! Du glaubst also wirklich, nur weil dein Doppelgänger gegenwärtig nicht unter den Lebenden weilt, sei es auch völlig überflüssig, ihn von den Toten zu erwecken? Du wirfst hier Physik und Ethik in einer Weise durcheinander, daß man am liebsten nach dem nächsten Knüppel greifen möchte. Vom Standpunkt der Physik ist es völlig gleichgültig, ob du lebst oder jener Trurl, ob alle beide oder keiner, ob ich munter durch die Welt hüpfe oder ruhig, wie es sich gehört, im Grabe liege, denn in der Physik gibt es weder
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