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Kussen hat noch nie geschadet

Kussen hat noch nie geschadet

Titel: Kussen hat noch nie geschadet
Autoren: Gibson Rachel
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selten hörte.
    »Ich hab ihm erklärt, dass er erst noch wachsen muss und dass ich höchstens hintendrauf mitfahren und mit den Füßen bremsen könnte.«
    »Irgendwann später vielleicht, aber hat er bis dahin noch andere Wünsche?«
    Vince war einsam, auch wenn er es sich selbst nie eingestehen würde. Warum sonst sollte ein fünfunddreißigjähriger Mann um neun Uhr abends seine Schwester anrufen, um sie zu fragen, was sein Neffe sich zu Weihnachten wünscht! »Er liebäugelt mit ein oder zwei Lego Racers.«
    »Das wird ein Riesenspaß. Musst du ihn dir dieses Jahr mit dem Idioten teilen?«
    Der »Idiot« wählte genau diesen Augenblick, um die Küche zu betreten. Autumn wirbelte herum und hielt den Zeigefinger vor die Lippen. »Ja. Ich glaube, Sam hat ihn dieses Jahr am Vormittag.«
    »Ich frage mich, was es mich kosten würde, ihn aus dem Weg räumen zu lassen.«
    »Vince, das darfst du nicht mal denken.« Sie blickte Sam an, der im langärmligen T-Shirt mit verschränkten Armen dastand und angriffslustig wirkte. »Ich muss jetzt Schluss machen und nachsehen, ob Conner seine Schlafanzughose nicht falsch rum angezogen hat.«
    »Sag ihm, dass ich ihn lieb hab.«
    »Mach ich.« Sie lief quer durch die Küche zurück. »Tschüs«, flötete sie und legte auf.
    »War das dein Bruder?«
    »Ja.«
    »Du hast ihm nicht gesagt, dass ich hier bin.«
    »Nö.« Sie schüttelte den Kopf und schaute ihn an. »Vince hasst dich, und den Stress wollte ich mir nicht geben.«
    »Ich hatte auch mal eine Schwester, die mit einem Mann zusammen war, den ich abgrundtief gehasst hab.« Er trat auf sie zu und nahm ihre Hand. »Ich verstehe deinen Bruder. Ich mag ihn nicht, aber ich verstehe ihn.«
    Selbst sie verstand ihren Bruder manchmal nicht.
    »Ich verstehe, warum er mich nicht in deiner Nähe haben will. Ich nehme ihm ab, dass er das nicht zulassen wird.«
    Sie sperrte verblüfft den Mund auf. »Was? Das hat Vince gesagt? Wann?«
    »Das spielt keine Rolle.« Er schüttelte resolut den Kopf. »Für mich spielt nur eine Rolle, dass du mir Folgendes glaubst: Ich werde nicht zulassen, dass sich dein Bruder zwischen meine Familie und mich stellt.«
    Sie wich einen Schritt zurück. »Conner und dich.«
    »Was?«
    »Sich zwischen Conner und dich stellt.«
    »Ja. Hab ich doch gesagt.«
    Nein. Das hatte er nicht. Hier ging es nicht um seine Familie. Sondern darum, dass er Zeit mit Conner verbrachte und mit ihr ins Bett ging. Hier ging es nicht darum, dass sie sich wieder in ihn verliebte und sich falsche Hoffnungen machte. Und schon gar nicht um eine Traumhochzeit, ein Häuschen im Grünen und Glück bis ans Lebensende.
    Vollkommen aufgewühlt flüchtete sie ins Wohnzimmer. Hier ging es nicht darum, dass sie gemeinsam zu Abend aßen und Conner danach mit seinem Dad Hausaufgaben machte. Was tat sie da nur? Und wenn Vince nun rauskriegte, dass sie mit Sam schlief? Ihm würde eine Sicherung durchbrennen, und sie war sich nicht so sicher, ob er noch sehr viele übrighatte. Sie war verwirrt und sehr verletzlich und wollte nicht darüber nachdenken. Jetzt nicht. Vielleicht am nächsten Tag, wenn Sam wieder weg wäre und sie wieder klar denken könnte. »Warum hast du den Mann gehasst, mit dem deine Schwester zusammen war?«, fragte sie.
    »Weil er ein kontrollsüchtiger Scheißkerl war.«
    Sie trat an das große Aussichtsfenster und sah auf Sams roten Truck in der Einfahrt hinab. Wenn sie eine Familie wären, stünde er in der Garage. Neben ihrem Subaru. »Was ist mit ihr passiert?«
    Er schwieg so lange, dass sie schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete. Sie musterte ihn, wie er jetzt mitten im Raum stand, ein großer, starker Mann mit einer tiefen Sorgenfalte zwischen den Brauen über seinen blauen Augen. »Er hat sie umgebracht.« Er wich ihrem Blick aus. »Als sie endlich den Mut gefasst hatte, ihn zu verlassen, hat er sie aufgespürt und erschossen.«
    Das Herz rutschte ihr in die Hose, und ihre eigenen Sorgen waren vergessen. Bestürzt drehte sie sich zu ihm. »Sam!«
    »Ich war weit weg und hab das Leben genossen. Ich hab damals in Toronto gewohnt, und dann …« Er zuckte mit den Achseln und sah sie wieder an. »Dann hab ich aufgehört zu leben.«
    Unwillkürlich trat sie auf ihn zu. »Wann ist sie gestorben?«
    »Am dreizehnten Juni.«
    Das Datum kam Autumn bekannt vor, und ihr fiel ein, dass er in Las Vegas den Tod seiner Schwester kurz erwähnt hatte.
    »Sie war vierundzwanzig. Sie war klug und schön und hatte große Pläne. Sie
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