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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman
Autoren: Lisa Kleypas
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verärgerte Prostituierte beugte sich heraus. »He, hier gibt’s Mädchen, die wollen schlafen, und ihr macht einen Lärm, mit dem könnt ihr Tote aufwecken!«
    »Wir sind gleich fertig«, rief Leo mit finsterer Miene zurück. »Geh wieder ins Bett.«
    Die Prostituierte blieb am Fenster. »Was macht ihr da mit dem Mädchen auf dem verdammten Dach?«
    »Das geht dich nichts an«, erwiderte Harry knapp.
    Ein paar weitere Fenster wurden geöffnet, mehr Köpfe tauchten auf, und ungläubige Ausrufe schallten zu ihnen herüber.
    »Wer is’ der?«
    »Springt die gleich runter?«
    »Scheiße, das wäre ’ne Sauerei.«
    Catherine schien das Publikum, das sie angelockt hatten, überhaupt nicht wahrzunehmen. Ihr schielender Blick war fest auf Leo gerichtet. »Hast du das ernst gemeint?«, wollte sie wissen. »Was du gesagt hast?«
    »Wir sprechen nachher darüber«, versprach Leo, der rittlings auf dem Fenstersims saß und sich am Rahmen festhielt. »Jetzt will ich erst einmal, dass du dich mit der Hand an der Hausmauer festhältst und auf den Sims kletterst. Vorsichtig!«
    »Hast du es ernst gemeint?«, wiederholte Catherine und rührte sich nicht vom Fleck.
    Leo warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Guter Gott, Marks, musst du ausgerechnet jetzt auch noch stur sein? Du willst, dass ich dir vor einem ganzen Chor von Prostituierten eine Liebeserklärung mache?«
    Sie nickte energisch.
    Eine der Huren rief: »Na, los, sag’s ihr schon, Kleiner!«
    Die anderen stimmten begeistert ein. »Na, los, Schätzchen!«
    »Raus damit, Süßer!«
    Harry, der unmittelbar hinter Leo am Fenster stand, schüttelte langsam den Kopf. »Wenn es hilft, sie von diesem verflixten Dach herunterzukriegen, dann sag’s doch einfach, verdammt noch mal!«
    Leo lehnte sich noch etwas weiter hinaus. »Ich liebe dich«, sagte er knapp. Doch während er auf Catherines kleine, zitternde Gestalt starrte, spürte er, wie er hochrot anlief und seine Seele sich einem Gefühl öffnete, das tiefer war, als er es sich je zugetraut hätte. »Ich liebe dich, Marks. Mein Herz gehört ganz und gar dir. Und zu deinem Unglück gehört auch der ganze Rest von mir dazu.« Leo hielt inne und rang nach Worten, wo sie ihm doch sonst immer so leicht über die Lippen gegangen waren. Aber diese Worte galt es sorgfältig zu wählen. Sie bedeuteten so viel. »Ich weiß, dass ich ein schlechter Handel bin. Aber ich bitte dich, mich trotzdem zu nehmen. Weil ich die Chance haben will, dich so glücklich zu machen wie du mich. Ich möchte ein Leben mit dir aufbauen.« Er gab sich Mühe, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Bitte komm zu mir, Cat. Ich kann ohne dich nicht leben. Du musst meine Liebe nicht erwidern. Du musst nicht mein sein. Lass mich einfach nur dein sein.«
    »Ohhh …«, seufzte eine der Prostituierten.
    Eine andere tupfte sich die Augen trocken. »Wenn sie ihn nicht will«, schniefte sie, »ich tät ihn nehmen.«
    Noch bevor Leo geendet hatte, war Catherine aufgestanden und kletterte zum Sims. »Ich komme«, sagte sie.
    »Langsam«, ermahnte Leo sie und umklammerte das Seil noch fester mit den Händen, während er die Bewegungen ihrer kleinen nackten Füße beobachtete. »Mach es genauso, wie du es vorhin auch gemacht hast.«
    Mit dem Rücken zur Wand bewegte sie sich Zentimeter für Zentimeter auf ihn zu. »Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte sie atemlos.
    »Schau nicht nach unten.«
    »Ich kann sowieso nichts sehen.«
    »Dann ist ja gut. Komm, weiter.« Nach und nach holte Leo das Seil ein, als hätte er sie an einer Angel. Sie kam näher und näher, bis sie schließlich nur eine Armlänge von ihm entfernt war. Leo streckte die Hand aus, so weit er konnte, bis seine Finger vor Anstrengung zitterten. Noch ein Schritt, und noch einer, und dann endlich konnte er den Arm um sie legen und sie durchs Fenster ziehen.
    Jubel ertönte aus dem Bordell, und die vielen Fenster schlossen sich allmählich wieder.
    Leo sank mit gespreizten Knien, das Gesicht in Catherines Haar vergraben, auf den Boden. Er zitterte am ganzen Körper vor Erleichterung und stieß einen bebenden Seufzer aus. »Ich hab dich. Ich hab dich. Oh, Marks. Das waren die schlimmsten zwei Minuten meines ganzen Lebens. Es wird dich Jahre kosten, um die wiedergutzumachen.«
    »Es waren nur zwei Minuten!«, protestierte sie, und er verschluckte sich fast vor Lachen.
    Er griff in die Westentasche, zog ihre Brille heraus und setzte sie ihr vorsichtig auf die Nase. Die Welt wurde wieder klar.
    Harry
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