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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht
Autoren: Agatha Christie
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und ungewöhnlich schön. Sie hatte eine schlanke, doch wohl proportionierte Figur, braunrote Haare, einen so vollkommenen Teint, dass sie gar keiner Hilfsmittel bedurfte, und jene dunklen Augen und Brauen, die so selten im Verein mit roten Haaren zu finden sind und um so stärker wirken.
    Ihr Mann sagte leichthin: «Nun, Schönliebchen, wie steht’s mit dem Frühstück?»
    Kay erwiderte: «All deine Lieblingssachen stehen auf dem Tisch, wie du siehst.»
    «Prächtig, prächtig.»
    Nevile lud sich Speck und kaltes Fleisch auf den Teller und schenkte sich Kaffee ein.
    «Uha», bemerkte Kay genießerisch. «Ist die Sonne nicht herrlich? England ist doch gar nicht so übel.»
    Das junge Paar war gerade erst aus Südfrankreich gekommen.
    Nevile überflog die Schlagzeilen in der Zeitung, schlug die Sportseite auf und ließ nur ein «Mhm» hören.
    Dann legte er die Zeitung beiseite und öffnete seine Briefe, größtenteils Rundschreiben, Drucksachen und Reklamen, die er zerriss und achtlos fortwarf.
    Kay sagte: «Ich mag die Tapete in meinem Zimmer nicht. Kann ich das Zimmer neu tapezieren lassen, Nevile?»
    «Ganz wie es dir gefällt, Schönliebchen.»
    «Taubenblau», träumte Kay vor sich hin, «und elfenbeinfarbene Seidenkissen…»
    Nevile öffnete wieder einen Brief.
    «Ach, übrigens», begann Kay, «Shirty hat angefragt, ob wir Ende Juni die Jachtfahrt mitmachen wollen. Eigentlich ein Jammer, dass wir ablehnen müssen.»
    Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Nevile und fügte betrübt hinzu: «Ich würde so gern mitfahren.»
    Eine Wolke der Unsicherheit schien Neviles Gesicht zu beschatten.
    «Müssen wir wirklich zu der grässlichen alten Tante Camilla?», fragte Kay rebellisch.
    Nevile zog die Brauen zusammen.
    «Natürlich müssen wir. Schau, Kay, wir haben das alles doch längst besprochen. Onkel Matthew war mein Vormund. Er und Tante Camilla haben für mich gesorgt. Haus ‹Möwennest› ist mein Zuhause, soweit es überhaupt ein Zuhause für mich gibt.»
    «Schon gut, schon gut. Wenn wir müssen, dann müssen wir eben. Schließlich bekommen wir nach ihrem Tod all ihr Geld; da können wir ja auch ein Opfer bringen.»
    «Davon kann gar keine Rede sein!», entgegnete Nevile ärgerlich. «Sie hat über das Vermögen nicht zu bestimmen. Onkel Matthew hat es ihr zu ihren Lebzeiten anvertraut, und nachher gehört es mir und meiner Frau. Es handelt sich dabei um Anhänglichkeit. Wieso verstehst du das nicht?»
    Kay sagte nach einer Pause:
    «Doch, ich verstehe deine Liebe und Anhänglichkeit. Aber bei mir ist es etwas anderes – ich bin dort nur geduldet, bin ein Eindringling. Sie hassen mich! Ja, sie hassen mich! Lady Tressilian rümpft ihre lange Nase über mich, und Mary Aldin sieht mich über die Schulter an. Du hast es dort schön. Du merkst überhaupt nicht, was vor sich geht.»
    «Ich finde, dass sie immer sehr höflich zu dir waren. Du weißt recht gut, dass ich andernfalls sehr ungemütlich werden würde.»
    Kay warf ihm einen rätselhaften Blick zu.
    «Höflich sind sie, gewiss. Aber sie betrachten mich als Eindringling.»
    «Ja nun, das ist doch schließlich ganz natürlich, nicht wahr?»
    «O ja, sicher ist es natürlich. Sie liebten Audrey sehr, nicht wahr?»
    Ihre Stimme zitterte ein wenig.
    «Die gute, wohl erzogene, kühle, farblose Audrey! Tante Camilla hat mir nicht verziehen, dass ich ihren Platz eingenommen habe.»
    Nevile drehte sich um. Seine Stimme war ausdruckslos, als er sagte: «Schließlich ist Tante Camilla alt – schon über Siebzig. Ihre Generation missbilligt Scheidungen, verstehst du. Im großen und ganzen hat sie sich sehr anständig in die Lage gefunden, finde ich, wenn man bedenkt, wie gern sie Audrey hatte.»
    «Ihrer Meinung nach hast du Audrey schlecht behandelt.»
    «Ich habe sie auch schlecht behandelt.»
    «Oh, Nevile, sei doch nicht dumm. Nur weil sie krank wurde und aussah, als wäre ihr das Herz gebrochen worden. Audrey ist nicht das, was ich einen guten Verlierer nenne. Wenn eine Frau einen Mann nicht zu halten vermag, soll sie ihn mit Anstand aufgeben – das ist meine Ansicht. Ihr beide hattet nichts gemeinsam. Sie hat nie Sport getrieben und war so blutarm und verwaschen wie… wie ein Spüllappen. Kein Leben in ihr, kein Mumm in den Knochen! Wenn sie wirklich um dich besorgt gewesen wäre, hätte sie an erster Stelle an dein Glück gedacht und sich gefreut, dass du jemanden gefunden hast, der zu dir passt.»
    Nevile wandte sich ihr zu. Ein kleines Lächeln spielte
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