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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe
Autoren: Sigrid Neureiter
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sein?«
    Mein Gott, wenn das ihre einzige Sorge war. Wann würde Sascha ihre Aversion gegen den Mann an der Seite ihrer Mutter ablegen?
    »Natürlich wird er da sein. Und wir drei werden einen sehr schönen Abend miteinander haben, mein Liebling.« Kateryna beugte sich zu ihrer Tochter hinüber und wollte den Arm um sie legen. Doch das Mädchen hatte sich wieder weggedreht und starrte aus dem Wagenfenster.
    *
    »Du willst nicht lieber den Shuttle nehmen?« Universitätsassistent Lenz Hofer war besorgt. Sein Chef, Professor Arthur Kammelbach hatte erklärt, den Weg von Dorf nach Schloss Tirol zu Fuß gehen zu wollen. Doch Lenz wusste, dass der ältere Mann gesundheitliche Probleme hatte.
    Wenn man fit war, war die Strecke kein Problem. Für jemanden mit einem schwachen Herzen, wie es bei Arthur laut Gerüchten unter den Kollegen der Fall war, konnte der Weg zur Strapaze werden – vor allem bei der Schwüle, die immer drückender wurde. Doch Arthur hatte darauf bestanden, zu Fuß zu gehen. »Mein Arzt hat mir Bewegung verordnet«, hatte er hinzugefügt.
    Nun näherten sie sich dem Schloss. Arthur holte mit seinen langen Beinen zügig aus und legte ein beachtliches Tempo vor. Neben ihm ging Professor Maurice Jungmann. Der kleinere, aber sportlich durchtrainierte Kollege hielt mühelos Schritt. Knapp dahinter folgte Lenz.
    Eine Dreierreihe wäre sich auf dem schmalen Weg, auf dem auch jetzt am Abend ein reger Besucherstrom in beide Richtungen herrschte, nicht ausgegangen, ohne ständig ausweichen zu müssen. Da hielt er sich lieber im Hintergrund.
    Die beiden Wissenschaftler – der eine, Arthur, Experte auf dem Gebiet der mittelhochdeutschen Dichtung, der andere, Spezialist für Alte Musik an der Hochschule in Basel – leiteten gemeinsam das Symposium. Sie hatten sicher einiges zu besprechen, sollte doch morgen die Eröffnung des Kongresses und die Pressekonferenz stattfinden.
    Im Gegensatz dazu hatte Lenz das Gröbste hinter sich. Seine Aufgabe war es gewesen, in Meran alles für den Kongress vorzubereiten. Arthur hatte ihn dazu abkommandiert, weil der Professor der Meinung war, dass Lenz, ein gebürtiger Bozner, sich auch in Meran auskennen müsse. Was ja bis zu einem gewissen Grad auch der Fall war. Immerhin war es seine Idee gewesen, das Symposium, das ursprünglich auf Schloss Tirol hätte stattfinden sollen, in das Meraner Kurhaus zu verlegen.
    Die Teilnehmer hatten sich derart zahlreich angemeldet, dass der Kongress auf der Burg nicht mehr möglich war. Allein 200 Leute täglich per Shuttle zwischen den Hotels in Dorf Tirol und dem Schloss hin und her zu karren, hätte die Logistik überfordert. Auf Lenz’ Empfehlung hin wurde das Symposium in das Meraner Kurhaus, in dem längst keine Kuren, sondern Kongresse, Konzerte und andere Veranstaltungen stattfanden, verlegt. Lediglich die musikalische Auftaktveranstaltung sollte heute Abend auf dem Schloss, der ›Wiege des Landes Tirol‹, stattfinden.
    Gedankenverloren betrachtete Lenz das beeindruckende Bauwerk. Von dort aus verwalteten die Grafen von Tirol einst ein Territorium, das vom Inntal über die Alpen bis zum Gardasee reichte. Auch die berühmt-berüchtigte Margarete Maultasch hatte dort regiert. Als ihr verhasster erster Gatte Johann Heinrich nach einem Jagdausflug heimkehren wollte, sperrte ihn Margarte kurzerhand aus und ließ ihn nicht mehr in die Burg. Bei dem Gedanken an die resolute Frau musste Lenz unwillkürlich an Jenny Sommer denken, die er im vorigen Jahr kennengelernt hatte.
    »Hast du Frau Dr. Sommer schon getroffen? Sie ist heute angekommen.« Arthurs Frage riss Lenz aus seinen Gedanken. »Noch nicht. Werd’ ich sie ja auf der Burg treffen«, beeilte er sich zu antworten.
    Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, bemerkte er, dass Professor Jungmann sich zu ihm umgedreht hatte und ihn prüfend musterte. Hatte er wieder im Word-Rap gesprochen?
    Lenz wusste um seine Angewohnheit, Subjekt und Prädikat zu vertauschen. Das war zu einer Zeit entstanden, in der er sich als Poet mit großer Zukunft gesehen hatte. Er hatte an Poetry Slams teilgenommen und seinen eigenen Vortragsstil entwickelt, indem er die deutsche Grammatik auf originelle Art abwandelte.
    Die Marotte war ihm bis heute geblieben. Gegenüber Außenstehenden wie Professor Jungmann bemühte Lenz sich normalerweise um eine korrekte Ausdrucksweise. Jetzt war er offenbar wieder in das alte Muster gefallen.
    Er musste sich zusammenreißen. Die Kongressteilnehmer würden es sicher
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