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Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Titel: Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Autoren: Gisa Pauly
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Latte mit den spitzen Nägeln ein Stück höher. Sie schwieg, der Sturm griff in ihre Locken, ihre Mütze hatte sie anscheinend längst eingebüßt. Der Wind riss an ihrem Schal, schlug ihn dann nach vorn, sodass er an einem der Nägel hängen blieb. Wiebke löste ihn, ohne Corinna aus den Augen zu lassen. Dann antwortete sie: »Klaus ist mein Bruder.«
    Mamma Carlotta war derart verblüfft, dass sie eine unvorsichtige Bewegung machte und damit die Leiter, die ohnehin nicht besonders sicher stand, in gefährliche Schwingungen versetzte. Vor Schreck schrie sie leise auf.
    Corinna entdeckte sie als Erste. »Signora! Was tun Sie denn hier? Helfen Sie mir! Diese Verrückte will mich umbringen!«
    Wiebke drehte sich zu Mamma Carlotta um und bewegte sich ein paar Zentimeter auf die Leiter zu. »Sie ist es, die mich umbringen will! Deswegen hat sie mich hergelockt. Die Tasche war nur ein Vorwand.«
    »Und wer hat diese Latte mit den schrecklichen Nägeln in der Hand?«, schrie Corinna. »Ich etwa?«
    Auch Wiebke begann nun zu schreien. »Sie hatten die Latte hinter Ihrem Rücken, als ich hier ankam. Wenn ich nicht schnell genug gewesen wäre, läge ich jetzt da unten. Und Sie hätten dann dafür gesorgt, dass die nächste Welle mich mitnimmt.« Spöttisch, mit herabgezogenen Mundwinkeln ergänzte sie: »Ein bedauerliches Opfer des schweren Sturms!«
    »Lüge!«, schrie Corinna. »Signora! Bitte, helfen Sie mir!«
    Ihr Gesicht war bleich, die Augen waren riesengroß, ihre Haare hingen wirr über den Ohren, nur am Hinterkopf waren sie noch festgesteckt. Das Tuch, das sie vermutlich auf dem Kopf getragen hatte, war auf ihre Schultern gerutscht. In ihren Augen flackerte die Angst, in ihren Mundwinkeln zuckte sie, ihre Nasenflügel bebten. Corinna Matteuer schien nur noch aus Angst zu bestehen.
    Wiebke dagegen war ruhiger. »Hören Sie nicht auf diese Frau«, sagte sie und bewegte sich langsam weiter auf die Leiter zu.
    Mamma Carlotta bekam es mit der Angst zu tun und trat vorsichtig den Rückzug an. Doch ihre Beine zitterten, ihre Füße suchten fahrig nach einem Halt auf der nächsten Stufe. Weg! Das war ihr einziger Gedanke. So schnell wie möglich weg! Erik verständigen und ihn zur Hilfe holen. Er würde schon wissen, wie Wiebke zu überwältigen und Corinna zu retten war.
    Aber die Flucht gelang ihr nicht. Die Leiter, die vom Sturm gerüttelt und von ihrer Angst zusätzlich ins Beben versetzt wurde, löste sich von dem Querbalken, an den sie gelehnt war, und machte Anstalten, zur Seite wegzurutschen. Entsetzt griff Mamma Carlotta nach dem, was sie zu fassen bekam, und klammerte sich am Querbalken fest. Verzweifelt versuchte sie, die Leiter mit den Beinen wieder in Position zu bringen, aber vergeblich. Sie rutschte weg, und Mamma Carlottas Füße mussten den Halt aufgeben. Panisch schrie sie auf. Sie hing über der ersten Etage eines Neubaus, durch den der Sturm jagte. Und es war ausgerechnet Wiebke, die nach ihren Händen griff, um sie vor dem Absturz zu bewahren.

S ören stieg vor ihm die Dünen hinauf, Erik folgte widerstrebend. Aber er sah ein, dass es sein musste. Schlimmstenfalls ging es um die Rettung eines Menschenlebens, diesem Ziel war der Dünenschutz unterzuordnen. Er sah auf seine Füße, versuchte, das Dünengras zu verschonen, so gut es ging, versuchte, leicht aufzutreten, um so wenig Sand wie möglich zu lösen … da blieb Sören so plötzlich stehen, dass Erik in ihn hineinlief.
    »Da!« Sören zeigte auf das Gerüst des Gosch-Neubaus. »Da sind sie!«
    Nun sah Erik es auch. Zwei Frauen auf dem Baugerüst! Die eine klammerte sich an einen Stahlpfosten, die andere beugte sich hinab, als wollte sie etwas in die Höhe ziehen.
    »Da ist noch eine Dritte im Spiel«, flüsterte Erik.
    Mit angehaltenem Atem beobachteten sie, wie Wiebke Reimers jemandem auf das Gerüstbrett half. Diese Person lag zunächst bäuchlings da, hob sich schließlich auf alle viere, hatte augenscheinlich Angst, sich auf diesem schwankenden Gerüstbrett auf die Beine zu stellen und sich damit dem Sturm auszusetzen. Doch schließlich wagte sie es doch und zog sich an einem Pfosten in die Höhe.
    »Um Gottes willen!«, stieß Sören hervor. »Was macht Ihre Schwiegermutter dort oben?«
    Darauf konnte Erik keine Antwort geben. Der Dünenschutz war ihm plötzlich gleichgültig, hastig stieg er weiter die Düne hoch, vom Wind getrieben, von der Sorge angespornt.
    »Vorsicht!«, riet Sören. »Es ist besser, wenn sie uns nicht bemerken. Wer
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