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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste
Autoren: Patrick O'Brian
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erdenschwer, denn darin nistete die Sorge um eine Besatzung. Schon in seinen ersten Tagen bei der Royal Navy hatte er den Fluch des chronischen Personalmangels schmerzhaft am eigenen Leibe zu spüren bekommen: Seine erste ernsthafte Wunde brachte ihm eine Frau mit einem heißen Bügeleisen bei, die ihren Mann nicht der Preßgang überlassen wollte. Aber er hatte nicht damit gerechnet, sich schon so früh, in so krasser Form und ausgerechnet im Mittelmeer mit dieser Crux auseinandersetzen zu müssen.
    Dann stand er auf dem Platz mit seinen alten Bäumen und der großen geteilten Freitreppe, die in zwei schwungvollen Bögen zum Kai hinunterführte — einer Treppe, die unter britischen Seeleuten seit hundert Jahren als Pigtail Steps bekannt war und die Ursache für manchen gebrochenen Knochen und angeknackten Schädel. Jack ging bis zu der niedrigen Mauer, die beide Treppen oben trennte, und blickte auf die weite, geschützte Bucht hinaus, die sich links bis zum fernen Hafen und rechts an der Hospitalinsel vorbei bis zur engen, vom Fort bewachten Einfahrt erstreckte. Links unter ihm lagen die Kauffahrer: Dutzende, ja wahrscheinlich Hunderte von Feluken, Tartanen, Schebecken, Pinken, Pollaccas, Houaris und Schwammfischerbarken — so gut wie alle mediterranen Takelungsarten waren vertreten und dazu noch einige aus den nördlichen Meeren: See-Tjalken, Katschiffe und Heringslogger. Ihm gegenüber und zu seiner Rechten lagen die Krieger: zwei Linienschiffe, beide mit vierundsiebzig Kanonen; eine schnittige Achtundzwanzig-Kanonen-Fregatte, die Niobe , der die Besatzung gerade einen roten Streifen unter dem gewürfelten Band der Stückpforten verpaßte, wohl nach dem Vorbild eines Spaniers, der ihrem Kommandanten gefallen hatte; dazu eine ganze Reihe Truppentransporter und Tender. Und zwischen allen Ankerliegern, dem Kai und der Treppe hasteten unzählige Boote hin und her — Pinassen, Barkassen, Schaluppen, Kutter, Jawls und Gigs, bis hinunter zur kleinen Jolle der Bombarde Tartarus , die unter dem enormen Gewicht ihres dicken Zahlmeisters fast versank. Noch weiter rechts strebte der prächtige Kai in weitem Bogen der Werft, dem Versorgungs- und Proviantpier sowie der Quarantäne-Insel zu. Dahinter lagen noch mehr Schiffe. Hoffnungsvoll beugte sich Jack weit vor, um wenigstens einen Blick auf das Objekt seiner Liebe zu erhaschen, aber die Sophie war nicht zu sehen. Widerstrebend wandte er sich nach rechts, wo Mr. Williams’ Büro lag. Mr. Williams war in Mahón der Repräsentant der höchst respektablen Firma Johnstone & Graham, seines Prisenagenten in Gibraltar. Diese Kanzlei mußte Jack als nächstes aufsuchen, denn es schien ihm lächerlich, klimperndes Gold auf der Schulter, aber keines in der Tasche zu tragen; außerdem brauchte er eilends Bargeld für eine ganze Reihe drängender Verpflichtungen — Kulanzgeschenke, Trinkgelder und ähnliches —, deren er sich unmöglich auf Kredit entledigen konnte.
    Mit dem größten Selbstvertrauen, als hätte er persönlich die Schlacht von Abukir gewonnen, betrat er die Kanzlei und wurde ausnehmend höflich empfangen. Als sie das Geschäftliche erledigt hatten, fragte der Agent: »Ich nehme an, Sie haben schon mit Mr. Baldick gesprochen?«
    »Dem Ersten Offizier der Sophie ?«
    »Ebendiesem.«
    »Aber er ist doch mit Captain Allen ausgelaufen — an Bord der Pallas .«
    »Da irren Sie, Sir, wenn ich das sagen darf. Er liegt im Hospital.«
    »Das überrascht mich.«
    Lächelnd zog der Agent die Schultern hoch und hob entschuldigend die gespreizten Hände: Er war im Besitz der Wahrheit und Jack im Irrtum, deshalb mußte er für seine Überlegenheit um Pardon bitten. »Mr. Baldick wurde gestern am späten Nachmittag mit einem leichten Fieber ins Hospital eingeliefert — ins kleine Hospital oben bei den Kapuzinern, nicht in das auf der Insel. Um die Wahrheit zu sagen«, der Agent hielt als Zeichen der Verschwörung die Hand vor den Mund und sprach jetzt leiser, »er konnte den Bordarzt der Sophie nicht leiden, und die Aussicht auf eine Reise unter seinen Händen widerstrebte Mr. Baldick. Zweifellos wird er sich, sobald er wiederhergestellt ist, in Gibraltar an Bord zurückmelden. Und nun, Captain«, fuhr der Agent mit gezwungenem Lächeln und schiefem Blick fort, »möchte ich mir mit Ihrer Erlaubnis die Freiheit herausnehmen, Sie um einen Gefallen zu bitten. Eine Kusine meiner Frau hat einen Sohn, der zur See fahren möchte — er will später einmal Zahlmeister werden. Er ist
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