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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Roald Dahl
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Gattinnen von weit her gefahren, und den ganzen Tag hallte das Tal vom Lärm der Schüsse wider. Fasanen gab es immer in Hülle und Fülle, denn jeden Sommer wurde der Bestand durch Dutzende und Aberdutzende junger Vögel aufgefrischt, was unglaublich teuer war. Ich hatte sagen hören, dass sich die Kosten für das Aufziehen und die Ernährung eines jeden Fasans, bis er schussreif war, auf mehr als fünf Pfund beliefen (annähernd der Preis für zweihundert Laib Brot). Aber Mr.   Hazel fand, dass sich jeder Penny dieser Investition lohnte. Er wurde, wenn auch nur für wenige Stunden, ein großer Mann in einer kleinen Welt, und selbst das Oberhaupt der Grafschaft klopfte ihm beim Abschied auf den Rücken und versuchte, sich seines Vornamens zu erinnern.
    «Wie wär’s, wenn wir die Dosis verringerten?», schlug Claud vor. «Könnten wir nicht den Inhalt einer Kapsel auf vier Rosinen verteilen?»
    «Ich glaube, das ließe sich machen.»
    «Aber wird der vierte Teil einer Kapsel für einen Vogel genügen?»
    Der Bursche schien Nerven wie Stricke zu haben. Es war gefährlich genug, um diese Jahreszeit auch nur einen einzigen Fasan aus Mr.   Hazels Wäldern zu holen, und er wollte gleich mit dem ganzen Bestand aufräumen.
    «Ein Viertel ist überreichlich», erwiderte ich.
    «Bist du sicher?»
    «Rechne dir’s selbst aus. Es geht nach Körpergewicht, und folglich würden die Fasanen immer noch etwa zwanzigmal mehr als nötig bekommen.»
    «Dann werden wir’s also mit dem vierten Teil der Dosis probieren», entschied Claud und rieb sich die Hände. Er stellte eine kurze Berechnung an. «Das ergibt hundertsechsundneunzig Rosinen.»
    «Ist dir auch klar, was das bedeutet?», fragte ich. «Das Präparieren wird stundenlang dauern.»
    «Wenn schon!», rief er. «Dann gehen wir eben erst morgen. Wir weichen die Rosinen über Nacht ein und können sie vormittags und nachmittags fertig machen.»
    Und so geschah es.
    Nun, vierundzwanzig Stunden später, waren wir unterwegs. Wir schritten schnell aus, und nach ungefähr vierzig Minuten näherten wir uns der Stelle, wo der Pfad nach rechts abbog und auf dem Hügelkamm zu dem großen Wald führte, in dem die Fasanen lebten. Bis dahin hatten wir noch eine Meile zu gehen.
    «Ich darf doch wohl annehmen, dass die Wildhüter keine Gewehre haben», sagte ich.
    «Alle Wildhüter sind bewaffnet.»
    Das hatte ich befürchtet.
    «Hauptsächlich wegen der kleinen Raubtiere.»
    «Aha.»
    «Natürlich schließt das nicht aus, dass sie auch mal einem Wilderer eins aufbrennen.»
    «Du machst Witze.»
    «Keineswegs. Aber sie schießen nur von hinten. Wenn man wegrennt, meine ich. Sie knallen einem gern auf fünfzig Schritt Entfernung in die Beine.»
    «Das dürfen sie nicht!», rief ich. «So etwas ist strafbar!»
    «Wildern auch», versetzte Claud.
    Eine Weile gingen wir stumm nebeneinanderher. Die Sonne stand hinter der hohen Hecke zu unserer Rechten, und der Weg lag im Schatten.
    «Sei froh, dass wir heute leben und nicht vor dreißig Jahren», begann Claud von neuem. «Damals schossen sie sofort auf Anruf.»
    «Glaubst du das?»
    «Ich weiß es», erwiderte er. «Wenn ich als kleiner Bengel nachts in die Küche kam, habe ich meinen Alten oft genug bäuchlings auf dem Tisch liegen sehen, während ihm meine Mutter mit einem Kartoffelmesser die Schrotkugeln aus den Hinterbacken kratzte.»
    «Hör auf», sagte ich. «Du machst mich nervös.»
    «Jetzt glaubst du’s mir, wie?»
    «Ja.»
    «Zuletzt war er über und über mit kleinen weißen Narben bedeckt. Sah aus wie beschneit.»
    «Ja», sagte ich. «Schon gut.»
    «Wildererarsch nannte man es damals», fuhr Claud fort. «Und im ganzen Dorf gab es keinen Mann, der nicht wenigstens ein paar solcher Narben gehabt hätte. Aber mein Alter hielt den Rekord.»
    «Gratuliere», murmelte ich.
    «Ich wollte wirklich, er wäre jetzt hier», meinte Claud gedankenvoll. «Er hätte alles darum gegeben, heute Abend dabei zu sein.»
    «Ich würde ihm gern meinen Platz abtreten», sagte ich.
    Wir hatten den Kamm des Hügels erreicht und sahen nun den düsteren Hochwald über uns. Hinter den Bäumen ging die Sonne unter, und kleine Goldfunken blitzten durch das Geäst.
    «Gib mir die Rosinen», sagte Claud.
    Ich reichte ihm die Tüte, und er steckte sie in die Hosentasche.
    «Im Wald wird nicht mehr gesprochen», mahnte er. «Geh immer hinter mir her und sieh zu, dass du keine Zweige abbrichst.»
    Fünf Minuten später hatten wir es geschafft. Der Weg, von
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