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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Roald Dahl
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Folge war ein großes Flügelschlagen, als alle herbeistürzten, um den Schatz zu finden.
    Der Kopf des Wildhüters fuhr herum, als wäre im Hals eine Sprungfeder eingebaut. Die Vögel pickten mit wildem Eifer die Rosinen auf. Der Mann machte zwei schnelle Schritte vorwärts, und eine Sekunde fürchtete ich, er werde der Sache auf den Grund gehen. Aber nein – er blieb stehen und ließ den Blick aufmerksam in die Runde schweifen.
    «Komm», flüsterte Claud. «Und nicht aufrichten!» Damit kroch er geschwind auf allen vieren davon, wie ein Affe.
    Ich folgte ihm. Er hätte die Nase dicht über der Erde, und sein breites, kräftiges Hinterteil ragte gen Himmel. Nun verstand ich auch, warum der Wildererarsch in dieser Zunft eine Berufskrankheit geworden war.
    So krochen wir ein gutes Stück.
    «Jetzt rennen», befahl Claud.
    Wir richteten uns auf, liefen weiter, und wenige Minuten später schlüpften wir durch die Hecke in die schöne Sicherheit des offenen Weges hinaus.
    «Glänzend ist das gegangen», sagte Claud schwer atmend. «Hat es nicht wunderbar geklappt?» Sein Gesicht war scharlachrot und leuchtete vor Triumph.
    «Ein Reinfall war es», knurrte ich.
    «Was?», rief er.
    «Natürlich war es ein Reinfall. Wir können doch jetzt unmöglich zurückgehen. Der Wildhüter weiß, dass jemand da war.»
    «Gar nichts weiß er», antwortete Claud. «In fünf Minuten ist es im Wald stockdunkel, und dann verzieht er sich nach Hause zum Abendbrot.»
    «Ich glaub, ich werde es ebenso machen.»
    «Du bist ein schöner Wilderer», meinte Claud. Er setzte sich auf die Böschung an der Hecke und zündete sich eine Zigarette an.
    Die Sonne war untergegangen, und über dem blassen Rauchblau des Himmels lag ein schwacher gelber Glanz. Im Wald hinter uns wurden die grauen Schatten zwischen den Bäumen allmählich schwarz.
    «Wie lange dauert es, bis das Schlafmittel wirkt?», fragte Claud.
    «Vorsicht», flüsterte ich. «Da kommt jemand.»
    Der Mann war geräuschlos aus der Dämmerung aufgetaucht; als ich ihn erblickte, war er knapp dreißig Schritte von uns entfernt.
    «Noch so ein elender Wildhüter», murmelte Claud.
    Wir sahen dem Mann entgegen, der geradewegs auf uns zukam. Er trug eine Schrotflinte unter dem Arm, und ein schwarzweißer Hühnerhund folgte ihm dicht auf den Fersen. Kurz vor uns machte er halt. Auch der Hund blieb stehen und beobachtete uns zwischen den Beinen seines Herrn hindurch.
    «Guten Abend», grüßte Claud freundlich.
    Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, ein großer, hagerer Kerl mit scharfem Blick, vorspringenden Backenknochen und harten, gefährlichen Händen.
    «Ich kenne euch», sagte er ruhig und kam näher. «Ich kenne euch beide.» Claud schwieg.
    «Ihr seid von der Tankstelle. Stimmt’s?»
    Seine Lippen waren schmal und trocken und mit einer Art bräunlicher Kruste überzogen.
    «Ihr seid Cubbage und Hawes von der Tankstelle an der Landstraße. Stimmt’s?»
    «Was spielen wir hier eigentlich?», fragte Claud. «Quiz?»
    Der Wildhüter spuckte einen dicken Klecks Speichel aus, den ich durch die Luft fliegen und sechs Zoll vor Clauds Füßen klatschend im Staub landen sah. Der schleimige Klumpen glich einer kleinen Auster.
    «Schert euch weg», sagte der Mann. «Los, verschwindet!»
    Claud saß auf der Böschung, rauchte seine Zigarette und betrachtete den Klecks Speichel.
    «Los, los», wiederholte der Mann. «Verschwindet!»
    Beim Sprechen hob sich seine Oberlippe und entblößte das Zahnfleisch. Ich sah eine Reihe kleiner, missfarbiger Zähne, von denen der eine schwarz war und die anderen gelb oder braun schimmerten.
    «Dies ist zufällig ein öffentlicher Weg», antwortete Claud. «Ich ersuche Sie, uns nicht zu belästigen.»
    Der Wildhüter nahm das Gewehr vom linken Arm in den rechten. «Ihr treibt euch hier herum und wollt offenbar ein Verbrechen begehen», sagte er. «Das würde ausreichen, euch festzunehmen.»
    «O nein, das würde nicht ausreichen», erwiderte Claud. Dieses Gespräch machte mich ziemlich nervös.
    «Ich habe schon seit einiger Zeit ein Auge auf dich», fuhr der Wildhüter fort, indem er Claud ansah.
    «Es wird spät», sagte ich. «Müssen wir nicht nach Hause?»
    Claud zertrat seine Zigarette und erhob sich langsam.
    «Schön», sagte er, «ich habe nichts dagegen.»
    Wir ließen den Wildhüter stehen und schlenderten den Weg zurück, den wir gekommen waren. In dem Halbdunkel war der Mann hinter uns bald außer Sicht.
    «Das ist der Oberaufseher», erklärte
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