Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Roald Dahl
Vom Netzwerk:
heruntergeklappt war.
    «Unter dem kleinen Burschen liegen mindestens sechzig bis siebzig Fasanen», behauptete Claud. «Stell dir das vor!»
    «Sechzig oder siebzig Fasanen kann man unmöglich in einen Kinderwagen stopfen.»
    «Man kann, wenn der Boden tief genug ist, und wenn man die Matratze herausnimmt. Die Vögel werden ganz eng gepackt, bis oben hin, dann kommt ein Laken darüber und fertig. Du wirst dich wundern, wie wenig Platz so ein schlaffer Fasan braucht.»
    Wir standen neben den Pumpen und warteten auf Bessie Organ. Es war einer jener schwülen, windstillen Septembermorgen, an denen sich der Himmel allmählich bezieht und die Luft nach Gewitter riecht.
    «Keck und unerschrocken mitten durchs Dorf», sagte Claud. «Gute alte Bessie.»
    «Sie scheint es ziemlich eilig zu haben.»
    Claud zündete sich eine neue Zigarette am Stummel der vorigen an. «So was gibt’s bei Bessie nicht», erwiderte er.
    «Sieht aber ganz so aus», widersprach ich. «Schau doch hin.»
    Er blinzelte durch den Rauch seiner Zigarette. Dann nahm er die Zigarette aus dem Mund, um besser sehen zu können.
    «Tatsächlich, sie geht ein ganz klein wenig schnell», meinte er zögernd.
    «Verdammt schnell geht sie.»
    Eine Pause entstand. Claud wandte keinen Blick von der Frau, die rasch näher kam.
    «Vielleicht möchte sie nicht vom Regen überrascht werden, Gordon. Ja, ich wette, das ist es. Sie denkt, es wird regnen, und will nicht, dass der Kleine nass wird.»
    «Warum klappt sie dann nicht das Verdeck hoch?»
    Auf diese Frage wusste er nichts zu erwidern.
    «Sie rennt!», rief ich. «Sieh nur!» Bessie hatte sich plötzlich in Trab gesetzt.
    Claud stand unbeweglich und beobachtete die Frau. In der Stille glaubte ich, das Kind schreien zu hören.
    «Was ist denn da los?»
    Er antwortete nicht.
    «Mit dem Kleinen ist irgendwas nicht in Ordnung», sagte ich.
    Bessie, die noch ungefähr zweihundert Schritte entfernt war, hastete auf uns zu.
    «Hörst du ihn?», fragte ich.
    «Ja.»
    «Er schreit sich die Seele aus dem Leib.»
    Die dünne, schrille Stimme wurde mit jeder Sekunde lauter. Das Kind schrie ununterbrochen, wild, gellend, fast hysterisch.
    «Er hat Krämpfe», behauptete Claud.
    «Kann schon sein.»
    «Deswegen rennt sie so, Gordon. Sie möchte ihn schnell unter die kalte Dusche bringen.»
    «Ich glaube, du hast recht», sagte ich. «Im Grunde weiß ich sogar, dass du recht hast. Hör bloß, wie er brüllt.»
    «Du kannst Gift darauf nehmen, dass er Krämpfe oder sonst etwas in der Art hat.»
    «Ich bin ganz deiner Meinung.»
    Claud trat auf dem Kies unserer Einfahrt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. «Mit so kleinen Kindern ist doch dauernd was los», bemerkte er. «Jeden Tag passieren da die unglaublichsten Sachen.»
    «Natürlich.»
    «Ich kannte mal ein Baby, das kam mit den Fingern in die Radspeichen des Kinderwagens. Glatt abgeschnitten wurden sie ihm. Alle fünf.»
    «Ja.»
    «Na, wie dem auch sei», schloss Claud, «ich wollte wirklich, sie hörte auf zu laufen.»
    Hinter Bessie tauchte jetzt ein langer Lastwagen mit Ziegelsteinen auf. Der Chauffeur steckte den Kopf aus dem Fenster, fuhr neben Bessie her und glotzte sie an. Sie kümmerte sich nicht um ihn und eilte weiter. Nun war sie schon so nahe, dass ich ihr rundes, rotes Gesicht mit dem weit offenen, nach Luft schnappenden Mund sehen konnte. Ich bemerkte, dass sie elegante weiße Handschuhe trug und dazu ein lustiges weißes Hütchen, das wie ein Pilz auf ihrem Kopf saß.
    Plötzlich flog ein riesiger Fasan aus dem Kinderwagen auf und schwang sich in die Luft.
    Claud stieß einen Schreckensschrei aus.
    Der Idiot in dem Lastwagen brüllte vor Lachen.
    Der Fasan flatterte wie betrunken umher, bis ihn nach wenigen Sekunden seine Kräfte verließen und er am Straßenrand im Gras landete.
    Ein Lieferwagen, der das Lastauto überholen wollte, begann laut zu hupen. Bessie rannte, so schnell sie nur konnte.
    Und schon flog ein zweiter Fasan aus dem Wagen. Dann ein dritter, ein vierter, ein fünfter.
    «Mein Gott!», keuchte ich. «Das Schlafmittel! Es wirkt nicht mehr!»
    Claud sagte kein Wort.
    Die letzten fünfzig Schritte legte Bessie in rasendem Tempo zurück. Sie kam die Einfahrt zur Tankstelle entlanggejagt, während die Vögel nach allen Himmelsrichtungen aufstiegen.
    «Zum Teufel, was soll denn das heißen?», kreischte sie.
    «Hintenherum!», rief ich. «Fahren Sie hintenherum!»
    Aber sie stoppte scharf bei der ersten Pumpe, und bevor wir sie erreichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher