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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund
Autoren: Stephen Booth
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nichts zu tun haben. Jedenfalls diesen Männern nicht. Müßiggang ist aller Laster Anfang.«
    »Jetzt redest du aber wirklich Unsinn, Grandma.«
    Helen fand im Kühlschrank eine Packung H-Milch und gab vorsichtig ein paar Tropfen in die Tasse, damit der Tee schön stark blieb.
    Ihre Großmutter hatte sich von dem alten Linoleum in der Küche nicht trennen können. Als im Wohnzimmer der neue Teppichboden verlegt wurde, hatte sie so lange behauptet, Linoleum sei wunderbar sauber zu halten, bis ihrem Schwiegersohn Andrew nichts anderes übrig geblieben war, als nachzugeben. Helen konnte sich die Küche ohne das blaue Linoleum genauso wenig vorstellen wie ohne die dunkle Eichenholzvertäfelung, die unebenen Wände und die weiß getünchten Türrahmen.
    »Auf jeden Fall denkt er mehr an seine Freunde als an mich. Das steht fest. Das hat er gerade wieder bewiesen.«
    »Denk einfach nicht mehr daran, Grandma. Lass dir deinen Tee schmecken.«
    »Du bist ein gutes Kind. Du warst immer sein Liebling, Helen. Warum redest du nicht mal mit ihm?«
    »Ich werde es versuchen«, versprach Helen.
    Sie stellte sich neben den Sessel der alten Frau, deren Kopfhaut rosa durch das schüttere weiße Haar hindurchschimmerte. Am liebsten hätte sie ihr den Arm um die Schultern gelegt, sie gedrückt und ihr gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Aber es wäre ihrer Großmutter peinlich gewesen, und außerdem war sie sich selbst nicht ganz sicher, ob sich wirklich alles wieder einrenken würde. Überwältigt von einem Gefühl der Zuneigung und der Frustration, wandte sie sich ab.
    Dann sah sie ihren Großvater, eine kleine Gestalt unten auf dem Bergpfad, die gerade am Fuß der Raven’s Side aus den Bäumen hervortrat. Ob es an der Art lag, wie er sich bewegte, oder an seinen durchgedrückten Schultern, konnte sie selbst nicht sagen, aber sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.
    Gwen legte den Kopf auf die Seite und musterte sie, als wäre ihr Helens gespanntes Schweigen aufgefallen.
    »Was hast du, Kind?«
    »Nichts, Grandma.«
    Helen entriegelte die Hintertür und stellte sich auf die weiß getünchte Stufe. Plötzlich hatte sie das Gefühl, Erinnerungen würden aus dem alten Cottage hinter ihr aufsteigen, wie Rauchwolken aus einem brennenden Haus. Es waren Kindheitserinnerungen, hauptsächlich an ihren Großvater – wie er sie an der Hand nahm und mit ihr den Weg hinunter zum Bach ging, wo sie Fische beobachtete und Blumen für eine Gänseblümchenkette pflückte, wie ihr Großvater sie stolz auf seinen Schoß setzte und ihr zeigte, wie er seine Pfeife stopfte, die er mit einem langen bunten Papierfidibus anzündete. Sogar Gerüche schienen ihr in die Nase zu steigen und in Sekundenschnelle wieder zu verfliegen, aber die mit ihnen verbundenen Gefühle waren so intensiv, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Es waren die erinnerten Gerüche von Pfeifenrauch, Pomade und Schuhcreme.
    Harry hatte schon damals ständig seine Schuhe geputzt, und bis heute war diese Manie ein unverwechselbares Kennzeichen, an dem sie ihren Großvater erkannte, so sehr er sich auch sonst im Laufe der Jahre verändert hatte. Ohne dieses und einige andere Merkmale wäre er für das Kind, das ihn als starken, unverwüstlichen Mittfünfziger erlebt hatte, im Alter vielleicht zum Fremden geworden.
    In diesem Augenblick hätte sie ihren Großvater allein an seinem Gang erkannt. Es war ein gemessener, zielgerichteter Gang, aufrecht und feierlich, der Schritt eines Soldaten bei einem Begräbnis, den Sarg eines verstorbenen Kameraden auf den Schultern.
    Der Hubschrauber drehte abermals ab und kam genau auf sie zu. Zwei Gesichter starrten zu ihr herunter, ausdruckslos hinter dunklen Brillengläsern. Helen hatte das Gefühl, als ob die Polizisten direkt in ihr Herz sehen könnten. Ihre Anwesenheit war irgendwie persönlich, fast intim, und doch waren sie immer zu weit entfernt.

3
    Okay, Leute. Pause.«
    Der Befehl kam von dem uniformierten Sergeant am anderen Ende der Reihe. Die Männer in den blauen Overalls und den Gummistiefeln verteilten sich und setzten sich im Halbkreis in das ausgedörrte, lange Gras. Irgendjemand holte eine Thermosflasche Tee heraus, ein anderer ließ eine Flasche Orangensaft kreisen.
    PC Garnett machte es sich bequem; er legte seine Stange weg und nahm die Mütze ab, wobei ein kurz geschnittener Haarkranz zum Vorschein kam. Angeblich lag es an den Helmen, dass vielen Polizisten schon früh die Haare ausgingen. Cooper war sich
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