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Kraut und Rübchen - Landkrimi

Kraut und Rübchen - Landkrimi

Titel: Kraut und Rübchen - Landkrimi
Autoren: emons Verlag
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lag über dem kleinen Ort Birkendorf, der eigentlich nur aus einer Handvoll von Bauernhäusern bestand. Die Menschen hier lebten von der Viehzucht und dem, was die Äcker hergaben, arbeiteten, aßen und tranken – manchmal etwas zu viel – und beteten. Die Tage vergingen einer wie der andere, man hielt sich an die Regeln der katholischen Kirche und im Wesentlichen wohl auch an die des Gesetzes.
    So zumindest hatte es den Anschein.
    Niemand in Birkendorf hatte sich jemals etwas zuschulden kommen lassen, wenn man von den Prügeleien absah, die sich hin und wieder auf Schützenfesten oder Hochzeiten zutrugen. Auch das eine oder andere Huhn hatte wohl schon bei Nacht und Nebel den Besitzer gewechselt. Doch die Geschehnisse im Sommer dieses Jahres irgendwann in den Siebzigern sollten das Vertrauen der Birkendorfer in ihre eigene Wohlanständigkeit zutiefst erschüttern.
    Dem lauen Abend folgte eine ruhige Nacht. Die Vögel kündigten wie immer im Morgengrauen den Tag an. Die aufgehende Sonne und die feuchten Schwaden, die über den Wiesen und Feldern aufstiegen, tauchten den frühen Morgen in ein kühles Licht. Die Blätter der riesigen Kastanie, die die Großenjohannsche Hofeinfahrt schmückte, hatten sich schon weit hervorgewagt und gaben sich alle Mühe, den betagten VW -Käfer, der unter ihnen parkte, vor dem in den letzten Tagen üppig niedergegangenen Mairegen zu schützen.
    Es war kurz nach sieben Uhr, als Marie Großenjohann gähnend das leise quietschende Gartentor hinter sich schloss und auf ihren Käfer zusteuerte. Sie hatte sich heute in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett gequält, um eine Vorlesung zu besuchen, die sage und schreibe um acht Uhr begann. Es war wie so oft um diese Jahreszeit ein nebliger, kühler Morgen, aber am Himmel arbeitete sich ein zartes Blau hervor. Marie fröstelte leicht. Hieß das jetzt, dass schönes Wetter im Anzug war? Oma Minna würde es wissen. »Wenn der Nebel hochsteigt, in den Himmel, gibt’s Regen«, pflegte sie zu sagen, »und wenn er nach unten in die Erde geht, dann scheint die Sonne.« Bloß, dass Marie immer Probleme hatte, den Unterschied zu erkennen. Für sie war Nebel überall. Wie sollte man da wissen, ob er hochstieg oder runterging?
    Sie hatte gerade die Hofeinfahrt überquert, als plötzlich jemand schrie. Marie blieb stehen und lauschte. Es war ein kurzer, hoher Ton gewesen. Ein Schreckensschrei. Aber jetzt war wieder alles still. Nur in der Kastanie zeterte unermüdlich eine Drossel. Wahrscheinlich war Bolle, der Kater, wieder auf Streifzug. Marie zuckte mit den Schultern und steckte den Schlüssel ins Schloss. Aber sie kam nicht mehr dazu, ihn auch umzudrehen, denn jetzt wehte der Wind vom Nachbarhof lautes Jammern herüber und eine männliche Stimme, die irgendetwas dazwischenrief.
    Oma Minna kam mit einem Reiserbesen aus der Deelentür. Sie hatte es wohl auch gehört – »die hört die Fische quatschen«, pflegte Maries Vater zu sagen, der, gefolgt von seiner Frau Hannelore, aus dem Kuhstall trat.
    »Jessas«, sagte Oma Minna, »was ist denn bei Heckerhoffs los?«
    »Hinnerk, geh doch mal hin«, schlug Maries Mutter vor.
    Der schürzte die Lippen, kramte seine kalte Pfeife aus der Hosentasche und steckte sie sich in den Mund.
    »Was soll ich denn da?«, quetschte er hervor.
    »Ja, Himmel noch mal«, Hannelore Großenjohann schlug die Hände über dem Kopf zusammen, »vielleicht brauchen die ja Hilfe!«
    Hinnerk schien noch nicht willens, die Neugier seiner Frau zu befriedigen, doch dann überzeugte ihn lautes Weinen aus Richtung des Heckerhoffschen Hofes von der Notwendigkeit, nachbarliche Hilfe anzubieten. Er setzte sich langsam in Trab. Oma Minna drückte ihrer Enkelin einen knochigen Finger in den Rücken.
    »Willst du nicht mitgehen, Löit?«
    Marie verzog den Mund. Sie wusste natürlich genau, warum sie mitgehen sollte. Ihr Vater würde nämlich den Teufel tun, die beiden Frauen später ausführlich über die Geschehnisse auf dem Nachbarhof aufzuklären. Er würde sich einen Spaß daraus machen, seine Schwiegermutter zappeln zu lassen. Und ihre Mutter würde bestimmt nicht mitgehen und sich nachsagen lassen, sie sei neugierig. Marie hatte da weniger Skrupel. Ihr war es piepegal, was die Leute dachten, und die Vorlesung würde sie sowieso verpassen. Also folgte sie ihrem Vater die knapp zweihundert Meter über die Heidekampstraße bis zum Anwesen der Heckerhoffs.
    Dort bot sich ihnen ein seltsames Bild. Die Familie, bestehend aus August, dem Bauern,
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